VORWORT Im handschriftlichen Nachla# von Wittgenstein kommen ha%ufig Auf- zeichnungen vor, die nicht unmittelbar zu den philosophischen Werken geho%ren, obgleich sie unter den philosophischen Texten zerstreut sind. Diese Aufzeichnungen sind teils autobiographisch, teils betreffen sie die Natur der philosophischen Ta%tigkeit, teils handeln sie von Gegensta%nden allgemeiner Ar t wie z. B. von Fragen der Kunst oder der Religion. Sie vom philosophischen Text scharf zu trennen ist nicht immer mo%glich; in vielen Fa%llen hat Wittgenstein jedoch selbst eine solche Trennung angedeutet -- durch den Gebrauch von Parenthesen oder auf andere Weise. Einige dieser Aufzeichnungen sind ephema%r, andere jedoch -- die Mehrzahl -- von gro#em Interesse. Manchmal sind sie von augenfa%lliger Scho%nheit und Tiefe. Es war den Nachla#verwaltern klar, da# eine Anzahl dieser Aufzeichnungen vero%ffentlicht werden mu%#te. G. H. von Wright wurde beauftragt, eine Auslese vorzunehmen und zusammenzustellen. Die Aufgabe war recht schwierig; zu verschiedenen Zeiten machte ich mir verschiedene Vorstellungen davon, wie sie am besten zu bewa%ltigen wa%re. So z. B. stellte ich mir anfangs vor, man ko%nne die Bemerkungen nach den behandelten Gegensta%nden gruppieren -- etwa "Musik", "Architektur", "Shakespeare" , "Aphorismen zur Lebensweisheit", "Philosophie" , u. dgl. Manchmal sind die Bemerkungen ohne Zwang in solche Gruppen einreihbar, aber im Ganzen wu%rde eine derartige Aufspaltung des Materials wohl kurnstlich wirken. Ich hatte ferner einmal gedacht, auch bereits Gedrucktes mitaufzunehmen. Viele der eindrucksvollsten "Aphorismen" Wittgensteins findet man ja in den philosophischen Werken -- in den Tagebu%chern aus dem ersten Weltkrieg, im Tractatus, und auch in den Untersuchungen. Ich mo%chte sagen: inmitten dieser Kontexte u%ben die Aphorismen Wittgensteins tat- sa%chlich ihre sta%rkste Wirkung aus. Aber eben darum schien es mir nicht richtig, sie aus ihrem Zusammenhang zu rei#en. Auch hatte mir einmal vorgeschwebt, die Auswahl nicht allzu umfangreich zu machen, sondern nur die "besten" Bemerkungen aufzunehmen. Eine gro#e Materialmenge wu%rde, wie ich meinte, den Eindruck der guten Bemer- kungen nur schwachen. Das ist wohl richtig -- aber meine Aufgabe war nicht die eines Geschmacksrichters. Auch habe ich mir im allgemeinen nicht zugetraut, zwischen wiederholten Formulierungen desselben oder fast desselben Gedankens eine Wahl zu treffen. Selbst die Wiederholungen kamen mir oft als zur Sache geho%rig vor. Am Ende habe ich mich fu%r dasjenige Ausleseprinzip entschieden, das mir als einziges unbedingt richtig vorkam. Ich lie# die Aufzeichnungen rein "perso%nlicher" Art aus der Sammlung weg -- d. h. Aufzeichnungen, in denen Wittgenstein u%ber seine a%u#eren Lebensumsta%nde, seine Gemu%tsverfassung Und Beziehungen zu anderen, zum Teil noch lebenden Personen berichtet. Diese Aufzeichnungen waren von den u%brigen im allgemeinen leicht zu trennen und ihr Interesse l1egt auf einer anderen Ebene als das der hier gedruckten. Nur in einigen wenigen Fa%llen, wo diese beiden Bedingungen nicht erfu%llt erschienen, habe ich auch solche Notizen autobiographischer Art aufgenommen. Die Bemerkungen erscheinen hier in chronologischer Ordnung mit Angabe des Jahres, dem sie entstammen. Es mu# auffallen, da# beinahe die Ha%lfte der Bemerkungen aus der Zeit nach dem Abschlu# (1945) des ersten Teils der - Philosophischen Untersuchungen stammt. Einem Leser, der nicht mit den Lebensumsta%nden oder mit der Lektu%re Wittgensteins vertraut ist, werden manche der Bemerkungen ohne eine na%here Erkla%rung dunkel oder ra%tselhaft vorkommen. In vielen Fa%llen wa%re es denn auch mo%glich gewesen, Erkla%rungen durch kommentierende Fu#noten zu geben. Mit ganz wenigen Ausnahmen jedoch habe ich auf Kommentare verzichtet. Sei es nebenbei bemerkt, da# alle Fu#noten vom Herausgeber herru%hren. Es ist unvermeidlich, da# ein Buch wie dieses auch in die Ha%nde von Lesern gera%t, denen das philosophische Werk Wittgensteins sonst unbekannt ist und auch bleiben wird. Das mu# nicht unbedingt scha%dlich oder nutzlos sein. Es is t indessen meine U%berzeugung, da# man diese Aufzeichnungen nur gegen den Hintergrund von Wittgensteins Philosophie richtig verstehen und scha%tzen kann und daru%ber hinaus, da# sie zum Versta%ndnis dieser Philosophie A swahl der Bemerkungen aus den Handschriften wurde in den Jahren Die Auswahl der Bemerkungen aus den Handschriften wurde in den Jahren 6 --1 66 vor enommen Dann habe ich die Arbeit bis zum Jahre 1974 liegenlassen. Bei der schlie#lichen Auslese und Zusammenstellung der Sammlun hat mir Herr Heikki Nyman geholfen. Er hat auch die genaue U%bereinstimmu11g der Textstellen mit den Handschriften kontrolliert und manche Fehler und Lu%cken meines Typoskripts beseitigt. Ich bin ihm fu%r seine mit gro#er Sorgfalt und gutem Geschmack ausgefu%hrte Arbeit sehr dankbar; ohne diese Hilfe ha%tte ich mich wahrscheinlich nie entschlie#en ko%nnen, die Sammlung fu%r den Druck fertigzustellen. Auch Herrn Rush Rhees schulde ich tiefen Dank fu%r Korrekturen in dem hergestellten Text und fu%r wertvolle Ratschla%ge bei der Auswahl. Helsinki, imJanuar 1977 Georg Henrik von Wright VORWORT ZUR ZWEITEN AUSGABE Diese Neuausgabe der "Vermischten Bemerkungen" entha%lt zusa%tzliches Material, zum gro%#ten Teil aus einem Notizbuch, das wahrscheinlich aus dem Jahr 1944 stammt. Helsinki, imJuni 1978 G. H. v. W. VERMISCHTE BEMERKUNGEN 1914 Wenn wir einen Chinesen ho%ren, so sind wir geneigt, sein Sprechen fu%r ein unartikuliertes Gurgeln zu halten. Einer, der chinesisch versteht, wird darin die Spmchc erkennen. So kann ich oft nicht den Menschen im Menschen erkennen. 1929 Meine Art des Philosophierens ist mir selbst immer noch, und immer wieder, neu, und daher mu# ich mich so oft wiederholen. Einer anderen Generation wird sie in Fleisch und Blut u%bergegangen sein, und sie wird d1e Wiederholungen langweilig finden. Fu%r mich sind sie notwendig. Es ist gut, da# ich mich nicht beeinflussen lasse! Ein gutes Gleichnis erfrischt den Verstand. Es ist schwer einem Kurzsichtigen einen Weg zu beschreiben. Weil man ihm nicht sagen kann: "schau auf den Kirchturm dort 10 Meilen von uns und geh' in dieser Richtung." In keiner religiosen Konfession ist soviel durch den Mi#brauch meta- physischer Ausdru%cke gesu%ndigt worden, wie in der Mathematik. Der menschliche Blick hat es an sich, da# er die Dinge kostbar machen kann, allerdings werden sie dann auch teurer. La# nur die Natur sprechen und u%ber der Natur kenne nur ein ho%heres, aber nicht das, was die anderen denken ko%nnten. Die Trago%die besteht darin, da# sich der Baum nicht biegt, sondern bricht. Die Trago%die ist etwas unju%disches. Mendelssohn ist wohl der untragischste Komponist. 2 1929 Jeden Morgen mu# man wieder durch das tote Gero%lle dringen, um zum lebendigen, warmen Kern zu kommen. Ein neues Wort ist wie ein frischer Same, der in den Boden der Diskussion geworfen wird. Mit dem vollen philosophischen Rucksack kann ich nur langsam den Berg der Mathematik steigen. Mendelssohn ist nicht eine Spitze, sondern eine Hochebene. Das englische an ihm. Niemand kann einen Gedanken fu%r mich denken, wie mir niemand als ich den Hut aufsetzen kann. Wer ein Kind mit Versta%ndnis schreien ho%rt, der wird wissen, da# andere seelische Kra%fte, furchtbare, darin schlummern, als man gewo%hnlich annimmt. Tiefe Wut und Schmerz und Zersto%rungsucht. Mendelssohn ist wie ein Mensch, der nur lustig ist, wenn alles ohnehin lustig ist, oder gut, wenn alle um ihn gut sind, und nicht eigentlich wie ein Baum, der fest steht, wie er steht, was immer um ihn vorgehen mag. Ich selber bin auch so a%hnlich und neige dazu, es zu sein. Mein Ideal ist eine gewisse Ku%hle. Ein Tempel, der den Leidenschaften als Umgebung dient, ohne in sie hineinzureden. Ich denke oft daru%ber, ob mein Kulturideal ein neues, d. h. ein zeitgema%#es oder eines aus der Zeit Schumanns ist. Zum mindesten scheint es mir eine Fortsetzung dieses Ideals zu sein, und zwar nicht die Fortsetzung, die es damals tatsa%chlich erhalten hat. Also unter Ausschlu# der zweiten Ha%lfte des 19. Jahrhunderts. Ich mu# sagen, da# das rein instinktma%#ig so geworden ist, und nicht als Resultat einer U%berlegung. 3 1929 Wenn wir an die Zukunft der Welt denken, so meinen wir immer den Ort, wo sie sein wird, wenn sie so weiter la%uft, wie wir sie jetzt laufen sehen, und denken nicht, da# sie nicht gerade la%uft, sondern in einer Kurve, und ihre R1chtung s1ch konstant a%ndert. Ich glaube, das gute O%sterreichische (Grillparzer, Lenau, Bruckner, Labor) ist besonders schwer zu verstehen. Es ist in gewissem Sinne subtiler als alles andere, und seine Wahrheit ist nie auf Seiten der Wahrscheinlichkeit. Wenn etwas gut ist, so ist es auch go%ttlich. Damit ist seltsamerweise meine Ethik zusammengefa#t. Nur das u%bernatu%rliche kann das U%bernatu%rliche ausdru%cken. Man kann die Menschen nicht zum Guten fu%hren; man kann sie nur irgendwohin fu%hren. Das Gute liegt au#erhalb des Tatsachenraums. 1930 Ich sagte neulich zu Arvidi, mit dem ich im Kino einen uralten Filin gesehen hatte: Ein jetziger Film verhielte sich zum alten, wie ein heutiges Automobil zu einem von vor 25 Jahren. Er wirkt ebenso la%cherlich und ungeschickt, wie diese und die Verbesserung des Films entspricht einer technischen Ver- besserung, w1e der des Automobils. Sie entspricht nicht der Verbesserung -- wenn man das so nennen darf -- eines Kunststils. Ganz a%%hnlich mu%#te es auch in der modernen Tanzmusik gehen. Ein Jazztanz mu%#te sich verbessern lassen, wie ein Film. Das, was alle diese Entwicklingen von dem Werden eines Stils unterscheidet, ist die Unbeteiligung des Geistes. Ich habe einmal, und vielleicht mit Recht, gesagt: Aus der fru%heren Kultur wird ein Tru%mmerhaufen und am Schlu# ein Aschenhaufen werden, aber es werden Geister u%ber der Asche schweben. Der Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Architekten besteht heute darin, da# dieser jeder Versuchung erliegt, wa%hrend der rechte ihr standhalt. 4 1930 Die Lu%cke, die der Organismus des Kunstwerks aufweist, will man mit Stroh ausstopfen, um aber das Gewissen zu beruhigen, nimmt man das beste Stroh. Wenn Einer die Lo%sung des Problems des Lebens gefunden zu haben glaubt, und sich sagen wollte, jetzt ist alles ganz leicht, so brauchte er sich zu seine r Widerlegung nur erinnern, da# es eine Zeit gegeben hat, wo diese "Lo%sung" nicht gefunden war; aber auch zu der Zeit mu#te man leben ko%nnen, und im Hinblick auf sie erscheint die gefundene Lo%sung wie ein Zufall. Und so geht es uns in der Logik. Wenn es eine "Lo%sung" der logischen (philosophischen) Probleme ga%be, so mu%#ten wir uns nur vorhalten, da# sie ja einmal nicht gelo%st waren (und auch da mu#te man leben und denken ko%nnen). Engelmann sagte mir, wenn er zu Hause in seiner Lade voll von seinen Manuskripten krame, so ka%men sie ihm so wunderscho%n vor, da# er denke, sie wa%ren es wert, den anderen Menschen gegeben zu werden. (Das sei auch der Fall, wenn er Briefe seiner verstorbenen Verwandten durchsehe.) Wenn er sich aber eine Auswahl davon herausgegeben denkt, so verliere die Sache jeden Reiz und Wert und werde unmo%glich. Ich sagte, wir hatten hier einen Fall a%hnlich folgendem: Es ko%nnte nichts merkwu%rdiger sein, als einen Menschen bei irgend einer ganz einfachen allta%glichen Ta%tigkeit, wenn er sich unbeobachtet glaubt, zu sehen. Denken wir uns ein Theater, der Vorhang ginge auf und wir sa%hen einen Menschen allein in seinem Zimmer auf und ab gehen, sich eine Zigarette anzu%nden, sich niedersetzen, u.s.f., so, da# wir plo%tzlich von au#en einen Menschen sa%hen, wie man sich sonst nie sehen kann; wenn wir quasi ein Kapitel einer Biographie mit eigenen Augen sa%hen, -- das mu%#te unheimlich und wunderbar zugleich sein. Wunderbarer als irgend etwas, was ein Dichter auf der Bu%hne spielen oder sprechen lassen ko%nnte, wir wu%rden das Leben selbst sehen. -- Aber das sehen wir ja alle Tage, und es macht uns nicht den mindesten Eindruck! Ja, aber wir sehen es nicht in der Perspektive. -- So, wenn E. seine Schriften ansieht und sie wunderbar findet (die er doch einzeln nicht vero%ffentlichen mo%chte), so sieht er sein Leben als ein Kunstwerk Gottes, und als das ist es allerdings betrachtenswert, jedes Leben und Alles. Doch kann nur der Ku%nstler das Einzelne so darstellen, da# es uns als Kunstwerk erscheint; jene Manuskripte verlieren mit Recht ihren Wert, wenn man sie einzeln, und u%berhaupt, wenn man sie unvoreingenommen, das hei#t, ohne schon vorher begeistert zu sein, betrachtet. Das Kunstwerk zwingt uns -- sozusagen -- zu der richtigen Perspektive, ohne die Kunst aber ist der Gegenstand ein Stu%ck Natur, wie jedes andre, und da# wir es durch die Begeisterung erheben ko%nnen, das berechtigt niemand es uns vorzusetzen. (Ich mu# immer an eine jener faden Naturaufnahme[n] denken, die der, der sie aufgenommen interessant findet, weil er dort selbst war, etwas erlebt hat; der 5 1930 Dritte aber mit berechtigter Ka%lte betrachtet, wenn es u%berhaupt gerecht- fertigt 1st, ein Ding mit Ka%lte zu betrachten.) Nun scheint mir aber, gibt es au#er der Arbeit des Ku%nstlers noch eine andere, die Welt sub specie aeterni einzufangen. Es ist -- glaube ich -- der Weg des Gedankens, der gleichsam u%ber die Welt hinfliege und sie so la%#t, wie sie 1st -- sie von oben vom Fluge betrachtend. Ich lese in Renans 'Peuple d'Israe%l': "La naissance, la maladie, la mort, le de/lire, la catalepsie, le sommeil, les re^ves frappaient infiniment, et, me^me aujourd'hui, il n'est donne/ qu'a un petit nombre de voir clairement que ces phe/nome\nes ont leurs causes dans notre organisation."1 Im Gegenteil, es besteht gar kein Grund, sich u%ber diese Dinge zu wundern, weil sie so allta%glich sind. Wenn sich der primitive Mensch u%ber sie wundern mu#, wiev1el mehr der Hund und der Affe. Oder nimmt man an, da# die Menschen quasi plo%tzlich aufgewacht sind, und diese Dinge, die schon immer da waren, nun plo%tzlich bemerken und begreiflicherweise erstaunt waren? -- Ja, etwas A%hnliches ko%nnte man sogar annehmen; aber nicht, da# sie diese Dinge zum erstenmal wahrnehmen, sondern, da# sie plo%tzlich anfangen, sich u%ber sie zu wundern. Das aber hat wieder nichts mit ihrer Prim1tivita%t zu tun. Es sei denn, da# man es primitiv nennt, sich nicht u%ber die Dinge zu wundern, dann aber sind gerade die heutigen Menschen und Renan selbst primitiv, wenn er glaubt, die Erkla%rung der Wissenschaft ko%nne das Staunen heben. Als ob der Blitz heute allta%glicher oder weniger staunenswert wa%re als vor 2000Jahren. Zum Staunen mu# der Mensch -- und vielleicht Vo%lker -- aufwachen. Die Wissenschaft ist ein Mittel um ihn wieder einzuschla%fern. D. h., es ist einfach falsch zu sagen: Natu%rlich, diese primitiven Vo%lker mu#ten alle Pha%nomene anstaunen. Vielleicht aber richtig, diese Vo%lker haben alle Dinge ihrer Umgebung- angestaunt. -- Da# sie sie anstaunen mu#ten, ist ein prim1tiver Aberglaube. (Wie der, da# sie sich vor allen Naturkra%ften fu%rchten mu#ten, und wir uns natu%rlich nicht fu%rchten brauchen. Aber die Erfahrung mag lehren, da# gewisse primitive Sta%mme sehr zur Furcht vor den Naturpha%nomenen neigen. -- Es ist aber nicht ausgeschlossen, da# hochzivilisierte Vo%lker wieder zu eben dieser Furcht neigen werden, und ihre Zivilisation und die wissenschaftliche Kenntnis kann sie nicht davor schu%tzen. : Freilich ist es wahr, da# der Geist, in dem die Wissenschaft heute betrieben wird, mit einer solchen Furcht nicht vereinbar ist.) 6 1930 Wenn Renan vom 'bon sens pre^coce der semitischen Rassen spricht (eine Idee, die mir vor langer Zeit schon vorgeschwebt ist), so ist das das Undichterische, unmittelbar aufs Konkrete gehende. Das, was meine Philoso- phie bezeichnet. Die Dinge liegen unmittelbar da vor unsern Augen, kein Schleier u%ber ihnen. -- Hier trennen sich Religion und Kunst. Zu einem Vorwort:1 Dieses Buch ist fu%r diejenigen geschrieben, die dem Geist, in dem es geschrieben ist, freundlich gegenu%berstehen. Dieser Geist ist, glaube ich, ein anderer als der des gro#en Stromes der europa%ischen und amerikanischen Zivilisation. Der Geist dieser Zivilisation, dessen Ausdruck die Industrie, Architektur, Musik, der Faschismus und Sozialismus unserer Zeit ist, ist dem Verfasser fremd und unsympathisch. Dies ist kein Werturteil. Nicht, als ob er glaubte, da# was sich heute als Architektur ausgibt, Architektur wa%re, und nicht, als ob er dem, was moderne Musik hei#t, nicht das gro%#te Mi#trauen entgegenbra%chte (ohne ihre Sprache zu verstehen), aber das Verschwinden der Ku%nste rechtfertigt kein absprechendes Urteil u%ber eine Menschheit. Denn echte und starke Naturen wenden sich eben in dieser Zeit von dem Gebiet der Ku%nste ab, und anderen Dingen zu, und der Wert des Einzelnen kommt irgendwie zum Ausdruck. Freilich nicht wie zur Zeit einer gro#en Kultur. Die Kultur ist gleichsam eine gro#e Organisation, die jedem, der zu ihr geho%rt, seinen Platz anweist, an dem er im Geist des Ganzen arbeiten kann, und seine Kraft kann mit gro#em Recht an seinem Erfolg im Sinne des Ganzen gemessen werden. Zur Zeit der Unkultur aber zersplittern sich die Kra%fte und die Kraft des Einzelnen wird durch entgegengesetzte Kra%fte und Reibungs- widersta%nde verbraucht, und kommt nicht in der La%nge des durchlaufenen Weges zum Ausdruck, sondern vielleicht nur in der Wa%rme, die er beim U%berwinden der Reibungswidersta%nde erzeugt hat. Aber Energie bleibt Energie. und wenn so das Schauspiel, das dieses Zeitalter bietet, auch nicht das des Werdens eines gro#en Kulturwerkes ist, in dem die Besten dem gleichen gro#en Zweck zuarbeiten, sondern das wenig imposante Schauspiel einer Menge, deren Beste nur privaten Zielen nachstreben, so du%rfen wir nicht vergessen, da# es auf das Schauspiel nicht ankommt. Ist es mir so klar, da# das Verschwinden einer Kultur nicht das Verschwinden menschlichen Wertes bedeutet, sondern blo# gewisser Aus- drucksmittel dieses Werts, so bleibt dennoch die Tatsache bestehen, da# ich dem Strom der europa%ischen Zivilisation ohne Sympathie zusehe, ohne Versta%ndnis fu%r die Ziele, wenn sie welche hat. Ich schreibe also eigentlich f u%r Freunde, welche in Winkeln der Welt verstreut sind. 7 1930 Ob ich von dem typischen westlichen Wissenschaftler verstanden oder gescha%tzt werde, ist mir gleichgu%ltig, weil er den Geist, in dem ich schreibe, doch nicht versteht. Unsere Zivilisation ist durch das Wort 'Fortschritt' charakterisiert. Der Fortschritt ist ihre Form, nicht eine ihrer Eigenschaften, da# sie fortschreitet. Sie ist typisch aufbauend. Ihre Ta%tigkeit ist es, ein im mer komplizierteres Gebilde zu konstruieren. Und auch die Klarheit dient doch nur wieder diesem Zweck und ist nicht Selbstzweck. Mir dagegen ist die Klarheit, die Durchsichtigkeit, Selbstzweck. Es interessiert mich nicht, ein Geba%ude aufzufu%hren, sondern die Grund- lagen der mo%glichen Geba%ude durchsicht1g vor mir zu haben. Mein Ziel ist also ein anderes als das der Wissenschaftler, und meine Denkbewegung von der ihrigen verschieden. Jeder Satz, den ieh schreibe, meint immer schon das Ganze, also immer wieder dasselbe und es sind gleichsam nur Ansichten eines Gegenstandes unter verschiedenen Winkeln betrachtet. lch ko%nnte sagen: Wenn der Ort, zu dem ich gelangen will, nur auf einer Leiter zu ersteigen wa%re, ga%be ich es auf, dahin zu gelangen. Denn dort, wo ich wirklich hin mu#, dort mu# ich eigentlich schon sein. Was auf einer Leiter erreichbar ist, interessiert mich nicht. Die erste Bewegung re1ht einen Gedanken an den anderen, die andere zielt immer wieder nach demselben Ort. Die eine Bewegung baut und nimmt Stein auf Stein in die Hand, die andere greifi immer wieder nach demselben. D1e Gefahr eines langen Vorwortsi ist die, da# der Geist eines Buchs sich in diesem zeigen mu#, und nicht beschrieben werden kann. Denn ist ein Buch nur fu%r wenige geschrieben, so wird sich das eben dadurch zeigen, da# nur wenige es verstehen. Das Buch mu# automatisch die Scheidung derer bewirken, die es verstehen, und die es nicht verstehen. Auch das Vorwort ist eben fir die geschrieben, die das Buch verstehen. Es hat keinen Si11n jemandem etwas zu sagen, was er nicht versteht, auch wenn man hinzusetzt, da# er es nicht verstehen kann. (Das geschieht so oft mit einem Menschen, den man liebt.) Willst Du nicht, da# gewisse Menschen in ein Zimmer gehen, so ha%nge ein Schlo# vor, wozu sie keinen Schlu%ssel haben. Aber es ist sinnlos, daru%ber mit ihnen zu reden, au#er Du willst doch, da# sie das Zimmer von au#en bewundern! 8 1930 Ansta%ndigerweise, ha%nge ein Schlo# vor die Tu%re das nur denen auffallt die es o%ffnen ko%nnen, und den andern nicht. Aber es ist richtig zu sagen, da# das Buch, meiner Meinung nach, mit der fortschreitenden europa%ischen und amerikanischen Zivilisation nichts zu tun hat. Da# diese Zivilisation vielleicht die notwendige Umgebung dieses Geistes ist, aber da# sie verschiedene Ziele haben. Alles rituelle (quasi Hohepriesterische) ist streng zu vermeiden, weil es unmittelbar in Fa%ulnis u%bergeht. Ein Ku# ist freilich auch ein Ritus und er fault nicht, aber eben nur soviel Ritus ist erlaubt, als so echt ist, wie ein Ku#. Es ist eine gro#e Versuchung den Geist explicit machen zu wollen. Wo man an die Grenze seiner eigenen Ansta%ndigkeit sto%#t, dort entsteht quasi ein Wirbel der Gedanken, ein endloser Regre#: Man mag sagen, was man will, es fu%hrt einen nicht weiter. Ich lese in Lessing (u%ber die Bibel)1: "Setzt hierzu noch die Einkleidung und den Stil . . ., durchaus voll Tautologien, aber solchen, die den Scharfsinn u%ben, indem sie bald etwas anderes zu sagen scheinen, und doch das na%mliche sagen, bald das na%mliche zu sagen scheinen, und im Grunde etwas anderes bedeuten oder bedeuten ko%nnen." Wenn ich nicht recht wei#, wie ein Buch anfangen, so kommt das daher, da# noch etwas unklar ist. Denn ich mo%chte mit dem der Philosophie gegebenen, den geschriebenen und gesprochenen Sa%tzen, quasi den Bu%chern, anfangen. Und hier begegnet man der Schwierigkeit des "Alles flie#t". Und mit ihr ist vielleicht u%berhaupt anzufangen. Wer seiner Zeit nur voraus ist, den holt sie einmal ein. 1931 Die Musik scheint manchem eine primitive Kunst zu sein, mit ihren wenigen To%nen und Rhythmen. Aber einfach ist nur ihre Oberfla%che, wa%hrend der Ko%rper, der die Deutung dieses manifesten Inhalts ermo%glicht, die ganze 9 1931 unendliche Komplexita%t besitzt, die wir in dem A%u#eren der anderen Ku%nste angedeutet finden, und die die Musik verschweigt. Sie ist in gewissem Sinne die raffinierteste aller Ku%nste. Es gibt Probleme, an die ich nie herankomme, die nicht in meiner Linie oder in meiner Welt liegen. Probleme der abendla%ndischen Gedankenwelt, an die Beethoven (und vielleicht te1lweise Goethe) herangekommen ist, und mit denen er gerungen hat, die aber kein Philosoph je angegangen hat (vielleicht ist Nietzsche an ihnen vorbeigekommen). Und vielleicht sind sie fu%r die abendla%ndische Philosophie verloren, d. h., es wird niemand da sein, der den Fortgang dieser Kultur als Epos empfindet, also beschreiben kann. Oder richtiger, sie ist eben kein Epos mehr, oder doch nur fu%r den, der sie von au#en betrachtet, und v1elleicht hat dies Beethoven vorschauend getan (wie Spengler einmal andeutet). Man ko%nnte sagen, die Zivilisation mu# ihren Epiker voraushaben. Wie man den eigenen Tod nur voraussehen und vorausschauend beschreiben, nicht als Gleichzeitiger von ihm berichten kann. Man ko%nnte also sagen: Wenn Du das Epos e1ner ganzen Kultur beschrieben sehen willst, so mu#t Du es unter den Werken der gro%#ten dieser Kultur, also zu einer Zeit, suchen, in der das Ende dieser Kultur nur hat vorausgesehen werden ko%nnen, denn spa%ter ist niemand mehr da es zu beschreiben. Und so ist es also kein Wunder, wenn es nur in der dunklen Sprache der Vorausahnung geschr1eben ist und fu%r die Wenigsten versta%ndlich. Ich aber komme zu diesen Problemen u%berhaupt nicht. Wenn ich "have done with the world", so habe ich eine amorphe (durchsichtige) Masse geschaffen, und die Welt mit ihrer ganzen Vielfa%ltigkeit bleibt, wie eine uninteressante Geru%mpelkammer, links liegen. Oder vielleicht richtiger: das ganze Resultat der ganzen Arbeit ist das Linksliegenlassen der Welt. (Das In-die-Rumpelkammer-werfen der ganzen Welt.) Eine Tragik gibt es in dieser Welt (der meinen) nicht, und damit all das Unendliche nicht, was eben die Tragik (als Ergebnis) hervorbringt. Es ist sozusagen alles in dem Welta%ther lo%slich; es gibt keine Ha%rten. Das hei#t, die Ha%rte und der Konflikt wird nicht zu etwas Herrlichem, sondern zu einem Fehler. Der Konflikt lo%st sich etwa, wie die Spannung einer Feder in einem Mechanismus, den man schmilzt (oder in Salpetersa%ure auflo%st). In dieser Lo%sung gibt es keine Spannungen mehr. 10 1931 Wenn ich sage, da# mein Buch nur fu%r einen kleinen Kreis von Menschen bestimmt ist (wenn man das einen Kreis nennen kann), so will ich damit nicht sagen, da# dieser Kreis, meiner Auffassung nach, die Elite der Menschheit ist, aber es sind die Menschen, an die ich mich wende (nicht weil sie besser oder schlechter sind als die andern, sondern), weil sie mein Kulturkreis sind, gleichsam die Menschen meines Vaterlandes, im Gegensatz zu den anderen, die mirfremd sind. Die Grenze der Sprache zeigt sich in der Unmo%glichkeit, die Tatsache zu beschreiben, die einem Satz entspricht (seine U%bersetzung ist), ohne eben den Satz zu wiederholen. (Wir haben es hier mit der Kantischen Lo%sung des Problems der Philosophie zu tun.) Kann ich sagen, das Drama hat seine eigene Zeit, die nicht ein Abschnitt der historischen Zeit ist? D. h., ich kann in ihm von fru%her und spa%ter reden, abe r die Frage hat keinen Sinn, ob die Ereignisse etwa vor oder nach Ca%sars Tod geschehen sind. Beila%ufig gesprochen, hat es nach der alten Auffassung -- etwa der der (gro#en) westlichen Philosophen -- zwei Arten von Problemen im wissen- schaftlichen Sinne gegeben: wesentliche, gro#e, universelle, und unwesent- liche, quasi accidentelle Probleme. Und dagegen ist unsere Auffassung, da# es kein gro#es, wesentliches Problem im Sinne der Wissenschaft gibt. Struktur und Gefu%hl in der Musik. Die Gefu%hle begleiten das Auffassen eines Musikstu%cks, wie sie die Vorga%nge des Lebens begleiten. Der Ernst Labors ist ein sehr spa%ter Ernst. Das Talent ist ein Quell. woraus immer wieder neues Wasser flie#t. Aber diese Quelle wird wertlos, wenn sie nicht in rechter Weise benutzt wird. "Was der Gescheite wei#, ist schwer zu wissen." Hat die Verachtung Goethes fu%r das Experiment im Laboratorium und die Aufforderung in die freie Natur 1931 zu gehen und dort zu lernen, hat dies mit dem Gedanken zu tun, da# die Hypothese (unrichtig aufgefa#t) schon eine Fa%lschung der Wahrheit ist? UUd mit dem Anfang, den ich mir jetzt fu%r mein Buch denke, der in einer Nturbeschreibung bestehen ko%nnte ? Wenn Menschen eine Blume oder ein Tier ha%#lich finden, so stehen sie imme unter dem Eindruck, es seien Kunstprodukte. "Es schaut so aus, wie . . .' hei#t es dann. Das wirft ein Licht auf die Bedeutung der Worte "ha%#lich" un "scho%n" . Die liebliche Temperaturdifferenz der Teile eines menschilcnen Korper. Es ist bescha%1nend, sich als leerer Schlauch zeigen zu mu%ssen, der nur vor Geist aufgeblasen wird. Niemand will den Andern gerne verletzt haben; darum tut es jedem so gut, wenn der Andece sich nicht verletzt zeigt. Niemand will gerne eine beleidig Leberwucst voc sich haben. Das merke Dir. Es ist viel leichter, de Beleidigten geduldig -- und duldend -- aus dem Weg gehen, als ihm freundli entgegengehen. Dazu geho%rt auch Mut. Zu dem, der Dich nicht mag, gut zu sein, erfordert nicht nur Gutmu%tigkeit, sondern aueh viel Takt. Wir kampfen mit der Sprache. Wir stehen im Kampf mit der Sprache. Die Lo%sung philosophischer Probleme verglichen mit dem Geschen Ma%rchen, das im Zauberschlo# zauberisch erscheint und wenn man es de beim Tag betrachtet, nichts ist, als ein gewo%hnliches Stu%ck Eisen ( dergleichen). 12 1931 Der Denker gleicht sehr dem Zeichner, der alle Zusammenha%nge nach- zeichnen will. Kompositionen, die am Klavier, auf dem Klavier, komponiert sind, solche, die mit der Feder denkend und solche, die mit dem inneren Ohr allein komponiert sind, mu%ssen einen ganz verschiedenen Charakter tragen und einen Eindruck ganz verschiedener Art machen. Ich glaube bestimmt, da# Bruckner nur mit dem inneren Ohr und einer Vorstellung vom spielenden Orchester, Brahms mit der Feder, komponiert hat. Das ist natu%rlich einfacher dargestellt, als es ist. Eine Charakteristik a ber ist damit getroffen. Eine Trago%die ko%nnte doch immer anfangen mit den Worten: "Es wa%re gar nichts geschehen, wenn nicht . . ." (Wenn er nicht mit einem Zipfel seines Kleides in die Maschine geraten wa%re ?) Aber ist das nicht eine einseitige Betrachtung der Trago%die, die sie nur zeigen la%#t, da# eine Begegnung unser ganzes Leben entscheiden kann. Ich glaube, da# es heute ein Theater geben ko%nnte, wo mit Masken gespielt wu%rde. Die Figuren wa%ren eben stylisierte Menschen-Typen. In den Schriften Kraus' ist das deutlich zu sehen. Seine Stu%cke ko%nnten, oder mu%#ten, in Masken aufgefu%hrt werden. Dies entspricht natu%rlich einer gewissen Abstraktheit dieser Produkte. Und das Maskentheater ist, wie ich es meine, u%berhaupt der Ausdruck eines spiritualistischen Charakters. Es werden daher auch vielleicht nur die Juden zu diesem Theater neigen. Frida Schanz: Nebeltag. Der graue Herbst geht um. Das Lachen scheint verdorben; die Welt liegt heut so stumm, als sei sie nachts gestorben. Im golden roten Hag brauen die Nebeldrachen; und schlummernd liegt der Tag. Der Tag will nicht erwachen. 13 1931 Das Gedicht habe ich aus einem "Ro%sselsprung" entnommen, wo natu%rlich die Interpunktion fehlte. Ich wei# daher z. B. nicht, ob das Wort "Nebeltag" der Titel ist, oder ob es zur ersten Zeile geho%rt, wie ich es geschrieben habe. Und es ist merkwu%rdig, wie trivial das Gedicht klingt, wenn es nicht mit dem Wort "Nebeltag", sondern mit "Der graue" beginnt. Der Rhythmus des ganzeir Gedichts a%ndert sich dadurch.1 Was Du geleistet hast, kann Andern nicht mehr bedeuten als Dir selbst. Soviel als es Dich gekostet hat, soviel werden sie zahlen. Der Jude ist eine wu%ste Gegend, unter deren du%nner Gesteinschicht aber die feurig-flu%ssigen Massen des Geistigen liegen. Grillparzer: "Wie leicht bewegt man sich im Gro#en und im Fernen, wie schwer fa#t sich, was nah und einzeln an. . . ." Welches Gefu%hl ha%tten wir, wenn wir nicht von Christus geho%rt ha%tten? Ha%tten wir das Gefu%hl der Dunkelheit und Verlassenheit? Haben wir es nur insofern nicht als es ein Kind nicht hat, wenn es wei#, da# jemand mit ihm im Zimmer ist? Religion als Wahnsinn ist Wahnsinn aus Irreligiosita%t. Sehe die Photographie von Korsischen Briganten und denke mir: die Gesichter sind zu hart und meines zu weich, als da# das Christentum darauf schreiben ko%nnte. Die Gesichter der Briganten sind schrecklich anzusehen und doch sind sie gewi# nicht weiter von einem guten Leben entfernt und nur auf einer andren Seite desselben selig als ich. Labor ist, wo er gute Musik schreibt, absolut unromantisch. Das ist ein sehr merkwu%rdiges und bedeutsames Zeichen. 14 1931 Wenn man die sokratischen Dialoge liest, so hat man das Gefu%hl: welche fu%rchterliche Zeitvergeudung! Wozu diese Argumente, die nichts beweisen und nichts kla%ren? Die Geschichte des Peter Schlemihls1 sollte, wie mir scheint, so lauten: Er verschreibt seine Seele um Geld dem Teufel. Dann reut es ihn und nun verlangt der Teufel den Schatten als Lo%segeld. Peter Schlemihl aber bleibt die Wahl seine Seele dem Teufel zu schenken, oder mit dem Schatten auf das Gemeinschaftsleben der Menschen zu verzichten. Im Christentum sagt der liebe Gott gleichsam zu den Menschen: Spielt nicht Trago%die, das hei#t Himmel und Ho%lle auf Erden. Himmel und Ho%lle habe ich mir vorbehalten. So ko%nnte Spengler besser verstanden werden, wenn er sagte: ich vergleiche verschiedene Kulturperioden dem Leben von Familien; innerhalb der Familie gibt es eine Familiena%hnlichkiet, wa%hrend es auch zwischen Mitgliedern verschiedener Familien eine A%hnlichkeit gibt; die Familiena%hnlichkeit unterscheidet sich von der andern A%hnlichkeit so und so etc. Ich meine: Das Vergleichsobjekt, der Gegenstand, von welchem diese Betrachtungsweise abgezogen ist, mu# uns angegeben werden, damit nicht in die Diskussion immer Ungerechtigkeiten einflie#en. Denn da wird dann alles, was fu%r das Urbild der Betrachtung stimmt, nolens volens auch von dem Objekt, worauf wir die Betrachtung anwenden behauptet; und behauptet "es mu%sse immer . . ." . Das kommt nun daher, da# man den Merkmalen des Urbilds einen Halt in der Betrachtung geben will. Da man aber Urbild und Objekt vermischt, dem Objekt dogmatisch beilegen mu#, was nur das Urbild charakterisieren mu#. Anderseits glaubt man, die Betrachtung habe nicht die Allgemeinheit, die man ihr geben will, wenn sie nur fu%r den einen Fall wirklich stimmt. Aber das Urbild soll ja eben als solches hingestellt werden; da# es die ganze Betrachtung charakterisiert, ihre Form bestimmt. Es steht also an der Spitze und ist dadurch allgemein gu%ltig, da# es die Form der Betrachtung bestimmt, nicht dadurch, da# alles, was nur von ihm gilt, von allen Objekten der Betrachtung ausgesagt wird. Man mo%chte so bei allen u%bertriebenen, dogmatisierenden Behauptungen immer fragen: Was ist denn nun daran wirklich wahr? Oder auch: In welchem Fall stimmt denn das nun wirklich? 15 1931 Aus dem Simplicissimus: Ra%tsel der Technik. (Bild: Zwei Professoren vor einer im Bau befindlichen Bru%cke.) Stimme von oben: "La# abi -- hu%ah -- la# abi sag' i -- nacha drah'n mer'n anders um!" -- -- "Es ist doch unfa#lich, Herr Kollegu, da# eine so komplizierte und exakte Arbeit in dieser Sprache zustande kommen kann." Man ho%rt immer wieder die Bemerkung, da# die Philosophie eigentlich keinen Fortschritt mache, da# die gleichen philosophischen Probleme, die schon die Griechen bescha%ftigten, uns noch bescha%ftigen. Die das aber sagen, verstehen nicht den Grund, warum es so sein mu#. Der ist aber, da# unsere Sprache sich gleich geblieben ist und uns immer wieder zu denselben Fragen verfu%hrt. Solange es ein Verbum 'sein' geben wird, das zu funktionieren scheint wie 'essen' und 'trinken' , solange es Adjektive 'identisch' , 'wahr' , 'falsch' , 'moglich' geben wird, solange von einem Flu# der Zeit und von einer Ausdehnung des Raumes die Rede sein wird, usw., usw., solange werden die Menschen immer wieder an die gleichen ra%tselhaften Schwierigkeiten sto#en, und auf etwas starren, was keine Erkla%rung scheint wegheben zu ko%nnen. Und dies befriedigt im U%brigen ein Verlangen nach dem Transcendenten, denn, indem sie die "Grenze des menschlichen Verstandes" zu sehen glauben, glauben sie natu%rlich, u%ber ihn hinaus sehen zu ko%nnen. Ich lese: ". . . philosophers are no nearer to the meaning of 'Reality' than Pla to got, . . .". Welche seltsame Sachlage. Wie sonderbar, da# Platon dann u%berhaupt so weit kommen konnte! Oder, da# wir dann nicht weiter kommen konnten! War es, weil Platon so gescheit war? Kleist schrieb einmal, es wa%re dem Dichter am liebsten, er ko%nnte die Gedanken selbst ohne Worte u%bertragen. (Welch seltsames Eingesta%ndnis.) Es wird oft gesagt, da# die neue Religion die Go%tter der alten zu Teufeln stempelt. Aber in Wirklichkeit sind diese dann wohl schon zu Teufeln geworden. Die Werke der gro#en Meister sind Sonnen, die um uns her auf- und untergehen. So wird die Zeit fu%r jedes gro#e Werk wiederkommen, das jetzt untergegangen ist. 16 1931 Mendelssohns Musik, wo sie vollkommen ist, sind musikalische Arabesken. Daher empfinden wir bei ihm jeden Mangel an Strenge peinlich. DerJude wird in der westlichen Zivilisation immer mit Ma#en gemessen, die auf ihn nicht passen. Da# die griechischen Denker weder im westlichen S1nn Philosophen, noch im westlichen Sinn Wissenschaftler waren, da# die Teilnehmer der Olympischen Spiele nicht Sportler waren und in kein westliches Fach passen, ist vielen klar. Aber so geht es auch den Juden. Und indem uns die Wo%rter unserer als die Ma#e schlechthin erscheinen, tun wir ihnen immer Unrecht. Und sie werden bald u%berscha%tzt, bald unterscha%tzt. Richtig reiht dabei Spengler Weininger nicht unter die westlichen Philosophen [Denker] . Nichts, was man tut, la%#t sich endgu%ltig verteidigen. Sondern nur in Bezug auf etwas anderes Festgesetztes. D. h., es la%#t sich kein Grund angeben, warum man so handeln soll (oder hat handeln sollen), als der sagt, da# dadurch dieser Sachverhalt hervorgerufen werde, den man wieder als Ziel hinnehmen mu#. Das Unaussprechbare (das, was mir geheimnisvoll erscheint und ich nicht auszusprechen vermag) gibt vielleicht den Hintergrund, auf dem das, was ich aussprechen konnte, Bedeutung bekommt. Die Arbeit an der Philosophie ist -- wie vielfach die Arbeit in der Architektur -- eigentlich mehr die Arbeit an Einem selbst. An der eignen Auffassung. Daran, wie man die Dinge sieht. (Und was man von ihnen verlangt.) Der Philosoph kommt leicht in die Lage eines ungeschickten Direktors, der, statt seine Arbeit zu tun und nur darauf zu schauen, da# seine Angestellten ihre Arbeit richtig machen, ihnen ihre Arbeit abnimmt und sich so eines Tages mit fremder Arbeit u%berladen sieht, wa%hrend die Angestellten zuschauen und ihn kritisieren. Der Gedanke ist schon vermu%delt und la%#t sich nicht mehr gebrauchen. (Eine a%hnliche Bemerkung ho%rte ich einmal von Labor, musikalische Gedanken betreffend.) Wie Silberpapier, das einmal verknittert ist, sich nie mehr ganz gla%tten la%#t. Fast alle meine Gedanken sind etwas verknittert. 17 1931 Ich denke tatsa%chlich mit der Feder, denn mein Kopf wei# oft nichts von dem, was meine Hand schreibt. Die Philosophen sind oft wie kleine Kinder, die zuerst mit ihrem Bleistift beliebige Striche auf ein Papier kritzeln und dann den Erwachsenen fragen "was ist das?" -- Das ging so zu: Der Erwachsene hatte dem Kind o%fters etwas vorgezeichnet und gesagt: "das ist ein Mann", "das ist ein Haus", usw. Und nun macht das Kind auch Striche und fragt: was ist nun das? Ramsey war ein bu%rgerlicher Denker. D. h., seine Gedanken hatten den Zweck, die Dinge in einer gegebenen Gemeinde zu ordnen. Er dachte nicht u%ber das Wesen des Staates nach -- oder doch nicht gerne -- sondern daru%ber, wie man diesen Staat vernu%nftig einrichten ko%nne. Der Gedanke, da# dieser Staat nicht der einzig mo%gliche sei, beunruhigte ihn teils, teils langweilte er ihn. Er wollte so geschwind als mo%glich dahin kommen, u%ber die Grundlagen -- dieses Staates -- nachzudenken. Hier lag seine Fa%higkeit und sein eigentlich es Interesse; wa%hrend die eigentlich philosophische U%berlegung ihn beunruhigte, bis er ihr Resultat (wenn sie eins hatte) als trivial zur Seite schob. Es ko%nnte sich eine seltsame Analogie daraus ergeben, da# das Okular auch des riesigsten Fernrohrs nicht gro%#er sein darf,1 als unser Auge. Tolstoi: die Bedeutung (Bedeutsamkeit) eines Gegenstandes liegt in seiner allgemeinen Versta%ndlichkeit. -- Das ist wahr und falsch. Das, was den Gegenstand schwer versta%ndlich macht, ist -- wenn er bedeutend, wichtig, ist -- nicht, da# irgendeine besondere Instruktion u%ber abstruse Dinge zu seinem Versta%ndnis erforderlich wa%re, sondern der Gegensatz zwischen dem Verstehen des Gegenstandes und dem, was die meisten Menschen sehen wollen. Dadurch kann gerade das Naheliegendste am allerschwersten versta%ndlich werden. Nicht eine Schwierigkeit des Verstandes, sondern des Willens, ist zu u%berwinden. Wer heute Philosophie lehrt, gibt dem Andern Speisen, nicht, weil sie ihm schmecken, sondern um seinen Geschmack zu a%ndern. 18 1931 Ich soll nur der Spiegel sein, in welchem mein Leser sein eigenes Denken mit allen seinen Unfo%rmigkeiten sieht, und mit dieser Hilfe zurecht richten kann. Die Sprache hat fu%r Alle die gleichen Fallen bereit; das ungeheure Netz gut gangbarer Irrwege. Und so sehen wir also Einen nach dem Andern die gleichen Wege gehn, und wissen schon, wo er jetzt abbiegen wird, wo er geradeaus fortgehen wird, ohne die Abzweigung zu bemerken, etc. etc. Ich sollte also an allen Stellen, wo falsche Wege abzweigen, Tafeln aufstellen, die u%ber die gefa%hrlichen Punkte hinweghelfen. Was Eddington u%ber 'die Richtung der Zeit' und den Entropiesatz sagt, la%uft darauf hinaus, da# die Zeit ihre Richtung umkehren wu%rde, wenn die Menschen eines Tages anfingen, ru%ckwa%rts zu gehen. Wenn man will, kann man das freilich so nennen; man mu# dann nur daru%ber klar sein, da# man damit nichts anders sagt als, da# die Menschen ihre Gehrichtung gea%ndert haben. Einer teilt die Menschen ein, in Ka%ufer und Verka%ufer, und vergi#t, da# Ka%ufer auch Verka%ufer sind. Wenn ich ihn daran erinnere, wird seine Grammatik gea%ndert? ? Das eigentliche Verdienst eines Kopernikus oder Darwin war nicht die Entdeckung einer wahren Theorie, sondern eines fruchtbaren neuen Aspekts. Ich glaube, was Goethe eigentlich hat finden wollen, war keine physio- logische, sondern eine psychologische Theorie der Farben. Eine Beichte mu# ein Teil des neuen Lebens sein. Ich dru%cke, was ich ausdru%cken will, doch immer nur "mit halbem Gelingen' aus. Ja, auch das nicht, sondern vielleicht nur mit einem Zehntel. Das will doch etwas besagen. Mein Schreiben ist oft nur ein "Stammeln" . Das ju%dische "Genie" ist nur ein Heiliger. Der gro%#te ju%dische Denker ist nur ein Talent. (Ich z. B.) Es ist, glaube ich, eine Wahrheit darin, wenn ich denke, da# ich eigentlich 19 1931 in meinem Denken nur reproduktiv bin. Ich glaube, ich habe nie eine Gedankenbewegung erfunden, sondern sie wurde mir immer von jemand anderem gegeben. Ich habe sie nur sogleich leidenschaftlich zu meinem Kla%rungswerk aufgegriffen. So haben mich Boltzmann, Hertz, Schopen- hauer, Frege, Russell, Kraus, Loos, Weininger, Spengler, Sraffa beeinflu#t. Kann man als ein Beispiel ju%discher Reproduktivita%t Breuer und Freud heranziehen? -- Was ich erfinde, sind neue Gleichnisse. Als ich seinerzeit den Kopf fu%r Drobil modellierte, so war auch die Anregung wesentlich ein Werk Drobils und meine Arbeit war eigentlich wieder die des Kla%rens. Ich glaube, das Wesentliche ist, da# die Ta%tigkeit des Kla%rens mit MUT betrieben werden mu#: fehlt der, so wird sie ein blo#es gescheites Spiel. Der Jude mu# im eigentlichen Sinn "sein Sach' auf nichts stellen". Aber das fa%llt gerade ihm besonders schwer, weil er, sozusagen, nichts hat. Es ist viel schwerer freiwillig arm zu sein, wenn man arm sein mu#, als, wenn man auch reich sein ko%nnte. Man ko%nnte sagen (ob es nun stimmt oder nicht), da# der ju%dische Geist nicht im Stande ist, auch nur ein Gra%schen oder Blu%mchen hervorzubringen, da# es aber seine Art ist, das Gra%schen oder die Blume, die im andern Geist gewachsen ist, abzuzeichnen und damit ein umfassendes Bild zu entwerfen. Das ist nun nicht die Angabe eines Lasters und es ist alles in Ordnung, solange das nur vo%llig klar bleibt. Gefa%hrlich wird es erst, wenn man die Art des Ju%dischen mit der des Nicht ju%dischen Werks verwechselt, und besonders, wenn das der Scho%pfer des ersteren selbst tut, was so nahe liegt. (Sieht er nic ht so stolz aus, als ob er selber gemolken wa%re.1) Es ist dem ju%dischen Geiste typisch, das Werk eines Anderen besser zu verstehen, als der es selbst versteht. Ich habe mich oft dabei ertappt, wenn ich ein Bild entweder richtig ha%tte rahmen lassen oder in die richtige Umgebung gehangen hatte, so stolz zu sein, als ha%tte ich das Bild gemalt. Das ist eigentlich nicht richtig: nicht "so stol z, als ha%tte ich es gemalt", sondern so stolz, als ha%tte ich es malen geholfen, als h a%tte ich sozusagen einen kleinen Teil davon gemalt. Es ist so, als wu%rde der au#erordentliche Arrangeur von Gra%sern am Schlu# denken, da# er doch, wenigstens ein ganz winziges Gra%schen, selbst erzeugt habe. Wa%hrend er sich = 20 1931 klar sein mu#, da# seine Arbeit auf einem ga%nzlich andern Gebiet liegt. Der Vorgang der Entstehung auch des winzigsten und scha%bigsten Gra%schens ist ihm ga%nzlich fremd und unbekannt. Das genaueste Bild eines ganzen Apfelbaumes hat in gewissem Sinne unendlich viel weniger A%hnlichkeit mit ihm, als das kleinste Ma#liebchen mit dem Baum hat. Und in diesem Sinne ist eine Brucknersche Symphonie mit einer Symphonie der heroischen Zeit unendlich na%her verwandt, als eine Mahlerische. Wenn diese ein Kunstwerk ist, dann eines ga%nzlich andrer Art. (Diese Betrachtung aber selbst ist eigentlich Spenglerisch.) Als ich u%brigens in Norwegen war, im Jahre 1913--14, hatte ich eigene Gedanken, so scheint es mir jetzt wenigstens. Ich meine, es kommt mir so vor, als ha%tte ich damals in mir neue Denkbewegungen geboren (aber vielleicht irre ich mich) . Wa%hrend ich jetzt nur mehr alte anzuwenden scheine. Rousseau hat etwas Ju%disches in seiner Natur. Wenn manchmal gesagt wird, die Philosophie eines Menschen sei Tem- peramentssache, so ist auch darin eine Wahrheit. Die Bevorzugung gewisser Gleichnisseist das, was ko%nnte man Temperamentssache nennen und auf ihr beruht ein viel gro%#erer Teil der Gegensa%tze, als es scheinen mo%chte. "Betrachte diese Beule als ein regelrechtes Glied deines Ko%rpers!" Kann man das, auf Befehl? Ist es in meiner Macht, willku%rlich ein Ideal von meinem Ko%rper zu haben oder nicht? Die Geschichte der Juden wird darum in der Geschichte der europa%ischen Vo%lker nicht mit der Ausfu%hrlichkeit behandelt, wie es ihr Eingriff in die europa%ischen Ereignisse eigentlich verdiente, weil sie als eine Art Krankheit, und Anomalie, in dieser Geschichte empfunden werden und niemand gern eine Krankheit mit dem normalen Leben gleichsam auf eine Stufe stellt [und niemand gern von einer Krankheit als etwas Gleichberechtigtem mit den gesunden Vorga%ngen (auch schmerzhafte) im Ko%rper spricht.] Man kann sagen: diese Beule kann nur dann als ein Glied des Ko%rpers betrachtet werden, wenn sich das ganze Gefu%hl fu%r den Ko%rper a%ndert (wenn sich das ganze Nationalgefu%hl fu%r den Ko%rper a%ndert). Sonst kann man sie ho%chstens dulden. Vom einzelnen Menschen kann man so eine Duldung erwarten, oder auch, 21 1931 da# er sich u%ber diese Dinge hinwegsetzt; nicht aber von der Nation, die ja nur dadurch Nation ist, da# sie sich daru%ber nicht hinwegsetzt. D. h., es ist e in Widerspruch zu erwarten, da# Einer das alte aesthetische Gefu%hl fu%r seinen Ko%rper behalten und die Beule willkommen hei#en wird. Macht und Besitz sind nicht dasselbe. Obwohl uns der Besitz auch Macht gibt. Wenn man sagt, die Juden ha%tten keinen Sinn fu%r den Besitz, so ist das wohl vereinbar damit, da# sie gerne reich sind, denn das Geld ist fu%r sie eine bestimmte Art von Macht, nicht Besitz. (Ich mo%chte z. B. nicht, da# meine Leute arm werden, denn ich wu%nsche ihnen eine gewisse Macht. Freilich auch, da# sie diese Macht recht gebrauchen mo%chten.) Zwischen Brahms und Mendelssohn herrscht entschieden eine gewisse Verwandtschaft; und zwar meine ich nicht die, welche sich in einzelnen Stellen in Brahmschen Werken zeigt, die an Mendelssohnsche Stellen erinnern, sondern man ko%nnte die Verwandtschaft, von der ich rede, dadurch ausdrucken, da# man sagt, Brahms tue das mit ganzer Strenge, was Mendelssohn mit halber getan hat. Oder: Brahms ist oft fehlerfreier Mendelssohn. LEIDENSCHAFTLICH Das wa%re das Ende eines Themas, das ich nicht wei#. Es fiel mir heute ein, als ich u%ber meine Arbeit in der Philosophie nachdachte und mir vorsagte: "I destroy, I destroy, I destroy --' . 22 1931 Man hat manchmal gesagt, da# die Heimlichkeit und Verstecktheit der Juden durch die lange Verfolgung hervorgebracht worden sei. Das ist gewi# unwahr; dagegen ist es gewi#, da# sie, trotz dieser Verfolgung, nur darum noch existieren, weil sie die Neigung zu dieser Heimlichkeit haben. Wie man sagen ko%nnte, da# das und das Tier nur darum noch nicht ausgerottet sei, weil es die Mo%glichkeit oder Fa%higkeit hat, sich zu verstekken. Ich meine natu%rl ich nicht, da# man darum diese Mo%glichkeit preisen soll, durchaus nicht. Die Musik Bruckners hat nichts mehr von dem langen und schmalen (nordischen?) Gesicht Nestroys, Grillparzers, Haydns etc., sondern hat ganz und gar ein rundes, volles (alpenla%ndisches?) Gesicht, von noch un- gemischterem Typus als das Schuberts war. Die alles gleich machende Gewalt der Sprache, die sich am krassesten im Wo%rterbuch zeigt, und die es mo%glich macht, da# die Zeit personifiziert werd en konnte, was nicht weniger merkwu%rdig ist, als es wa%re, wenn wir Gottheiten der logischen Konstanten ha%tten. Ein scho%nes Kleid, das sich in Wu%rmer und Schlangen verwandelt (gleichsam koaguliert), wenn der, welcher es tra%gt, sich darin selbstgefa%llig in den Sp iegel schaut. Die Freude an meinen Gedanken ist die Freude an meinem eigenen seltsamen Leben. Ist das Lebensfreude ? 1932 Die Philosophen, welche sagen: "nach dem Tod wird ein zeitloser Zustand eintreten", oder: "mit dem Tod tritt ein zeitloser Zustand ein", und nicht merken, da# sie im zeitlichen Sinne "nach" und "mit" und "tritt ein" gesagt haben, und, da# die Zeitlichkeit in ihrer Grammatik liegt. Circa 1932--1934 Erinnere Dich an den Eindruck guter Architektur, da# sie einen Gedanken ausdru%ckt. Man mo%chte auch ihr mit einer Geste folgen. Spiele nicht mit den Tiefen des Andern! Das Gesicht ist die Seele des Ko%rpers. Man kann den eigenen Charakter so wenig von Au#en betrachten, wie die eigene Schrift. Ich habe zu meiner Schrift eine einseitige Stellung, die mich verhindert, sie auf gleichem Fu# mit anderen Schriften zu sehen und zu vergleichen. In der Kunst ist es schwer etwas zu sagen, was so gut ist wie: nichts zu sagen. An meinem Denken, wie an dem jedes Menschen, ha%ngen die verdorrten Reste meiner fru%heren (abgestorbenen) Gedanken. Die musikalische Gedankenstarke bei Brahms. D1e verschiedenen Pflanzen und ihr menschlicher Charakter: Rose, Epheu, Gras, Eiche, Apfelbaum, Getreide, Palme. Verglichen mit dem verschiedenen Charakter der Wo%rter. Wenn man das Wesen der Mendelssohnschen Musik charakterisieren wollte, so ko%nnte man es dadurch tun, da# man sagte, es ga%be vielleicht keine schwer versta%ndliche Mendelssohnsche Musik. Jeder Ku%nstler ist von Andern beeinflu#t worden und zeigt die Spuren dieser Beeinflussung in seinen Werken; aber was er uns bedeutet, ist doch nur seine Perso%nlichkeit. Was vom Andern stammt, ko%nnen nur Eierschalen sein. Da# sie da sind, mo%gen wir mit Nachsicht behandeln, aber unsere geistige Nahrung werden sie nicht sein. Es kommt mir manchmal vor, als philosophierte ich bereits mit einem zahnlosen Mund und als schiene mir das Sprechen mit einem zahnlosen Mund als das eigentliche, wertvollere. Bei Kraus sehe ich etwas A%hnliches. Statt, da# 24 1933 1933 Wenn etwa jemand sagt "A's Augen haben einen scho%neren Ausdruck als B's", so will ich sagen, da# er mit dem Wort "scho%n" gewi# nicht dasjenige meint, was allem, was wir scho%n nennen, gemeinsam ist. Vielmehr spielt er ein Spiel von ganz geringem Umfang mit diesem Wort. Aber worin dru%ckt sich das aus? Schwebte mir denn eine bestimmte enge Erkla%rung des Wortes "scho%n" vor? Gewi# nicht. -- Aber ich werde vielleicht nicht einmal die Scho%nheit des Ausdrucks der Augen mit der Scho%nheit der Form der Nase vergleichen wollen. Ja, man ko%nnte etwa sagen: Wenn es in einer Sprache zwei Worte ga%be und also das Gemeinsame in diesem Falle nicht bezeichnet wa%re, so wu%rde ich fu%r meinen Fall ruhig eines der beiden spezielleren Worte nehmen und es wa%re mir nicht vom Sinn verloren gegangen. Wenn ich sage, A. habe scho%ne Augen, so kann man mich fragen: was findest Du an seinen Augen scho%n, und ich werde etwa antworten: die Mandelform, die langen Wimpern, die zarten Lider. Was ist das Gemeinsame dieser Augen mit einer gothischen Kirche, die ich auch scho%n finde? Soll ich sagen, sie machen mir einen a%hnlichen Eindruck? Wie, wenn ich sagte: das Gemein- same ist, da# meine Hand versucht ist, sie beide nachzuzeichnen? Das wa%re jedenfalls eine enge Definition des Scho%nen. Man wird oft sagen ko%nnen: frage nach den Gru%nden, warum Du etwas gut oder scho%n nennst, und die besondere Grammatik des Wortes 'gut' in diesem Fall wird sich zeigen. 1933--1934 Ich glaube meine Stellung zur Philosophie dadurch zusammengefa#t zu , haben, indem ich sagte: Philosophie du%rfte man eigentlich nur dichten. Darau s mu# sich, scheint mir, ergeben, wie weit mein Denken der Gegenwart, Zukunft, oder der Vergangenheit angeho%rt. Denn ich habe mich damit auch als einen bekannt, der nicht ganz kann, was er zu ko%nnen wu%nscht. Wenn man in der Logik einen Trick anwendet, wen kann man tricken, au#er sich selbst? Namen der Komponisten. Manchmal ist es die Projektionsmethode, die wir den Charakter dieses Menschen treffen? Manchmal aber projizieren wir den 25 1933--1934 Charakter in den Namen und sehen diesen als das Gegebene an. So scheint es uns, da# die uns wohl bekannten gro#en Meister gerade die Namen haben, die zu ihrem Werk passen. 1934 Wenn Einer prophezeit, die ku%nftige Generation werde sich mit diesen Problemen befassen und sie lo%sen, so ist das meist nur eine Art Wunschtraum, in welchem er sich fu%r das entschuldigt, was er ha%tte leisten sollen, und ni cht geleistet hat. Der Vater mo%chte, da# der Sohn das erreicht, was er nicht erreicht hat, damit die Aufgabe, die er ungelo%st lie#, doch eine Lo%sung fa%n de. Aber der Sohn kriegt eine neue Aufgabe. Ich meine: der Wunsch, die Aufgabe mo%ge nicht unfertig bleiben, hu%llt sich in die Voraussicht, sie werde von de r na%chsten Generation weitergefu%hrt werden. Das u%berwa%ltigende Ko%nnen bei Brahms. Wer Eile hat, wird in einem Wagen sitzend unwillku%rlich anschieben, obwohl er sich sagen kann, da# er den Wagen gar nicht schiebt. Ich habe auch, in meinen ku%nstlerischen Ta%tigkeiten, nur gute Manieren. 1936 Die seltsame A%hnlichkeit einer philosophischen Untersuchung (vielleicht besonders in der Mathematik) mit einer a%sthetischen. (Z. B., was an diesem 1934 oder 1937 In den Zeiten der stummen Filme hat man alle Klassiker zu den Filmen gespielt, aber nicht Brahms und Wagner. Brahms nicht, weil er zu abstrakt ist. Ich kann mir eine aufregende Stelle in einem Film mit Beethovenscher oder Schubertscher Musik begleitet denken und ko%nnte eine Art Versta%ndnis fu%r die Musik durch den Film bekommen. Aber nicht ein Versta%ndnis Brahmsscher Musik. Dagegen geht Bruckner zu einem Film. - 26 1937 1937 Wenn du ein Opfer bringst und dann darauf eitel bist, so wirst du mit samt deinem Opfer verdammt. Das Gebaude Deines Stolzes ist abzutragen. Und das gibt furchtbare Arbeit. In einem Tag kann man die Schrecken der Ho%lle erleben; es ist reichlich Es ist ein gro#er Unterschied zwischen den Wirkungen einer Schrift, die man entziffern kann. Man schlie#t in ihr die Gedanken ein, wie in einer Schatulle. Die gro%#ere 'Reinheit' der nicht auf die Sinne wirkenden Gegensta%nde, z. B., der Zahlen. = Das Licht der Arbeit ist ein scho%nes Licht, das aber nur dann wirklich scho% n leuchtet, wenn es von noch einem andern Licht erleuchtet wird. = 'ja, so ist es", sagst Du, "denn so mu# es sein!" (Schopenhauer: der Mensch lebt eigentlich 100 Jahre lang.) "Natu%rlich, so mu# es sein!" Es ist da, als habe man die Absicht eines Scho%pfers verstanden. Man hat das System verstanden. Man fragt sich nicht 'Wie lange leben denn Menschen wirklich?', das erscheint jetzt als etwas Oberfla%chliches; sondern man hat etwas tiefer Liegendes verstanden. Nur1 so na%mlich ko%nnen wir unsere Behauptungen der Ungerechtigkeit -- oder Leere unserer Behauptungen entgehen, indem wir das Ideal als das, was es ist, na%mlich als Vergleichsobjekt -- sozusagen als Ma#stab -- in unsrer Betrachtung ansehen statt als das Vorurteil, dem Alles konformieren mu#. Hierin na%mlich liegt der Dogmatismus, in den die Philosophie so leicht verfallen kann. Was ist denn aber das Verha%ltnis einer Betrachtung wie der Spenglers und der meinen? Die Ungerechtigkeit bei Spengler: Das Ideal verliert nichts von seiner Wu%rde, wenn es als Prinzip der Betrachtungsform hingestellt wird. Eine gute Me#barkeit. In Macaulays Essays ist vieles ausgezeichnet; nur seine Werturteile u%ber ensc un uberflu%ssg- Man mo%chte ihm sagen: la# die ' Beinahe a%hnlich, wie man sagt, da# die alten Physiker plo%tzlich gefunden haben, da# sie zu wenig Mathematik verstehen, um die Physik bewa%ltigen zu der Lage sind, da# der normale, gute Verstand fu%r die seltsamen Anspru%che des Lebens nicht mehr ausreicht. Es ist alles so verzwickt geworden, da#, es zn bewa%ltigen' ein ausnahmsweiser Verstand geho%rte- Denn es genu%gt nicht mehr, das Spiel gut spielen zu ko%nnen; sondern immer wieder ist die Frage: is t dieses Spiel jetzt u%berhaupt zu spielen und welches ist das rechte Spiel? Die Lo%sung des Problems, das Du im Leben siehst, ist eine Art zu leben, die das Problemhafte zum Verschwinden bringt. Da# das Leben problematisch ist, hei#t, da# Dein Leben nicht in die Form Form, dann verschwindet das Problematische. em Aber haben wir nicht das Gefu%hl, da# der, welcher nicht darin ein Problem sieht fu%r etwas Wichtiges ja das Wichtigste blind ist? Mo%chte ich nicht sagen, der lebe so dahin eben blind, gleichsam wie ein Maulwurf, und wenn er blo# sehen ko%nnte, so sa%he er das Problem? Oder soll ich nicht sagen: da#, wer richtig lebt, das Problem nicht als Traurigkeit, also doch nicht problematisch, empfindet, sondern vielmehr als eine Freude; also gleichsam als einen lichten A%ther um sein Leben, nicht als einen fraglichen Hintergrund. Auch Gedanken fallen manchmal unreif vom Baum. Es ist fu%r mich wichtig, beim Philosophieren immer meine Lage zu vera%ndern, nicht zu lange aufeinem Bein zu stehen, um nicht steif zu werden. e.rfrischen d k l ' war s ge t' s1c zu 28 1937 Das Christentum ist keine Lehre, ich meine, keine Theorie daru%ber, was mit der Seele des Menschen geschehen ist und geschehen wird, sondern eine Beschreibung eines tatsa%chlichen Vorgangs im Leben dcs Menschen. Denn die 'Erkenntnis der Su%nde' ist ein tatsa%chlicher Vorgang, und die Verzweiflung desgleichen und die Erlo%sung durch den Glauben desgleichen. Die, die davon sagen (wie Bunyan), beschreiben einfach, was ihnen geschehen ist, was immer einer dazu sagen will. Wenn ich mir Musik vorstelle, was ich ja ta%glich und oft tue, so reibe ich dabei -- ich glaube immer -- meine oberen und unteren Vorderza%hne rhythmisch an einander. Es ist mir schon fru%her aufgefallen, geschieht aber f u%r gewo%hnlich ganz unbewu#t. Und zwar ist es, als wu%rden die To%ne meiner Vorstellung durch diese Bewegung erzeugt. Ich glaube, da# diese Art, im Innern Musik zu ho%ren, vielleicht sehr allgemein ist. Ich kann mir natu%rhch auch ohne die Bewegung meiner Za%hne Musik vorstellen, die To%ne sind aber dann viel schemenhafter, viel undeutlicher, weniger pra%gnant. Auch im Denken gibt es eine Zeit des Pflu%gens unde eine Zeit der Ernte. Wenn man z. B. gewisse bildhafte Sa%tze als Dogmen des Denkens fu%r die Menschen festlegt, so zwar, da# man damit nicht Meinungen bestimmt, aber u%us ruc a . nu g o g e errsc ' ne sehr egentu%mliche Wirkung haben. Die Menschen werden unter einer un- bedingten, fu%hlbaren Tyrannei leben, ohne doch sagen zu ko%nnen, sie seen nicht frei. Ich meine, da# die katholische Kirche es irgendwie a%hnlich macht. Denn das Dogma hat die Form des Ausdrucks einer Behauptung, und es ist an Eikl bi .f'ilih h lih h h E i ki Wand die Meinung zu beschra%nken, sondern wie eine Bremse, die aber praktisch den gleichen Dienst tut; etwa als ha%ngte man, um Deine Bewegungsfreiheit zu beschra%nken, ein Gewicht an Deinen Fu#. Dadurch na%mlich wird das Dogma unwiderlegbar und dem Angriff entzogen. Wenn ich fu%r mich denke, ohne ein Buch schreiben zu wollen, so springe ich um das Thema herum; das ist die einzige mir natu%rliche Denkweise. In einer Reihe gezwungen, fortzudenken, ist mir eine Qual. Soll ich es nun u%berhaupt probieren?? 29 1937 Leute sagen gelegentlich, sie ko%nnten das und das nicht beurteilen, sie ha%tten nicht Philosophie gelernt. Dies ist ein irritierender Unsinn; denn es wird vorgegeben, die Philosophie sei irgendeine Wissenschaft. Und man redet von ihr etwa wie von der Medizin. -- Das aber kann man sagen, da# Leute, die nie eine Untersuchung philosophischer Art angestellt haben, wie die meisten Mathematiker z. B., nicht mit den richtigen Sehwerkzeugen fu%r derlei Untersuchung oder Pru%fung ausgeru%stet sind. Beinahe, wie Einer, der nicht gewohnt ist, im Wald nach Blumen, Beeren oder Kra%utern zu suchen, keine findet, weil sein Auge fu%r sie nicht gescha%rft ist, und er nicht wei#, wo insbesondere man nach ihnen ausschauen mu#. So geht der in der Philosoph1e Ungeu%bte an allen Stellen vorbei, wo Schwierigkeiten unter dem Gras verborgen liegen, wa%hrend der Geu%bte dort stehenbleibt und fu%hlt, hier sei eine Schwierigkeit, obgleich er sie noch nicht sieht. -- Und kein Wunder, wenn man wei#, wie lange auch der Geu%bte, der wohl merkt, hier liege eine Schwierigkeit, suchen mu#, um sie zu finden. Wenn etwas gut versteckt ist, ist es schwer zu finden. Man kann von religio%sen Gleichnissen sagen, sie bewegen sich am Rande des Abgrundes. Z. B., von der Allegorie B's. Denn wie, wenn wir blo# dazusetzen: "und alle diese Fallen, Su%mpfe, Abwege, sind vom Herrn des Weges angelegt, die Ungeheuer, Diebe, Ra%uber von ihm geschaffen worden"? Gewi#, das ist nicht der Sinn des Gleichnisses! aber diese Fortsetzung liegt zu nahe! Sie nimmt dem Gleichnis, fu%r Viele und fu%r mich, seine Kraft. ware es, wenn auf Schrtt und Tritt offen gesag--t wurde: 'Ich brauche dies arlls s ec ns' a sc au- e.r stmmt.es nc t' n atte man nc t as e u ' u%berzeugen. Man kann Einem z. B. sagen: "Danke Gott fu%r das Gute, was Du empfa%ngst, aber beklage Dich nicht u%ber das U%bel: wie Du es natu%rlich ta%t est, wenn ein Mensch Dir abwechselnd Gutes und U%bles widerfahren lie#e." Es werden Lebensregeln in Bilder gekleidet. Und diese Bilder ko%nnen nur dienen, zu beschreiben, was wir tun sollen, aber nicht dazu, es zu begru%nden. kann sagen: "Danke diesen Bienen fur ihren Honig, als wa%- ren sie gute Menschen, die ihn fu%r Dich bereitet haben"; das ist versta-ndlich und beschre ibt, wie ich wu%nsche, Du sollest Dich benehmen. Aber nicht: "Danke ihnen, denn sieh', wie gut sie sind!" -- denn sie ko%nnen Dich im na%chsten Augenblick stechen. Die Religion sagt: Tu dies! -- Denk so! -- aber sie kann es nicht begru%nden, :===== und versucht sie es auch nur, so sto%#t sie ab; denn zu jedem Grund, d en sie gibt, gibt es einen stichhaltigen Gegengrund. U%berzeugender ist es, zu sagen: "Denke so! -- so seltsam dies scheinen mag." Oder: 'Mo%chtest Du das nicht tun? -- so absto#end es ist." 31 1937 A%u#erungen des Komponisten, diese Stelle habe das und das darzustellen. Wenn ich nun frage "Was erlebe ich denn eigentlich, wenn ich dies Thema ho%re und mit Versta%ndnis ho%re?" -- so kommen mir nichts als Plattheiten in den 70 1948 Kopf zur Antwort. So etwas wie Vorstellungen, Bewegungsempfindungen, Erinnerungen u. dergl. Ich sage freilich "Ich gehe mit" -- aber was hei#t das? Es ko%nnte so etwas hei#en wie: ich begleite die Musik mit Geba%rden. Und wenn man darauf hinweist, da# das doch meistens nur in sehr rudimenta%rem Ma#e vor sich geht, erha%lt man etwa die Antwort, die rudimenta%ren Bewegungen werden durch Vorstellungen erga%nzt. Aber nehmen wir doch an, es begleite Einer die Musik in vollem Ma#e durch Bewegungen, -- inwiefern ist das ihr Versta%ndnis? Und will ich sagen, die Bewegungen seien das Verstehen; oder seine Bewegungs- empfindungen? (Was wei# ich von denen?) -- Wahr ist, da# ich seine Bewegungen, unter Umsta%nden, als Zeichen seines Versta%ndnisses ansehen werde. Soll ich aber (wenn ich Vorstellungen, Bewegungsempfindungen, etc. als Erkla%rung zuru%ckweise) sagen, es sei eben das Verstehen ein spezifisches, ni cht weiter analysierbares Erlebnis? Nun, das ginge an, wenn es nicht hei#en soll: es sei ein spezifischer Erlebnisinhalt. Denn bei diesen Worten denkt man eigentlich an Unterschiede wie die zwischen Sehen, Ho%ren und Riechen. Wie erkla%rt man denn Einem, was es hei#t "Musik verstehen"? Indem man ihm die Vorstellungen, Bewegungsempfindungen, etc. nennt, die der Verstehende hat? Eher noch, indem man ihm die Ausdrucksbewegungen des Verstehenden zeigt. --Ja, die Frage ist auch, welche Funktion hat das Erkla%re n hier? Und was hei#t es: verstehen, was es hei#t, Musik zu verstehen? Mancher wu%rde ja sagen: das zu verstehen hei#e: selbst Musik zu verstehen. Und die Frage wa%re also "Kann man Einen denn lehren, Musik zu verstehen?", denn nur so ein Unterricht wa%re eine Erkla%rung der Musik zu nennen. Das Versta%ndnis der Musik hat einen gewissen Ausdruck, sowohl wa%hrend des Ho%rens und Spielens, als auch zu andern Zeiten. Zu diesem Ausdruck geho%ren manchmal Bewegungen, manchmal aber nur, wie der Verstehende das Stu%ck spielt, oder summt, auch hier und da Vergleiche, die er zieht, und Vorstellungen, die die Musik gleichsam illustrieren. Wer Musik versteht, wird anders (mit anderem Gesichtsausdruck, z. B.) zuho%ren, reden, als der es nicht versteht. Sein Versta%ndnis eines Themas wird sich aber nicht nur in Pha%nomenen zeigen, die das Ho%ren oder Spielen dieses Themas begleiten, sondern in einem Versta%ndnis fu%r Musik im allgemeinen. Das Versta%ndnis der Musik ist eine Lebensa%u#erung des Menschen. Wie wa%re sie Einem zu beschreiben? Nun, vor allem mu%#te man wohl die Musia beschreiben. Dann ko%nnte man beschreiben, wie sich Menschen zu ihr verhalten. Aber ist das alles, was dazu no%tig ist, oder geho%rt dazu, da# wir ihm selbst Versta%ndnis beibringen? Nun, ihm Versta%ndnis beibringen wird ihm in anderem Sinne lehren, was Versta%ndnis ist, als eine Erkla%rung, die dies nich t tut. Ja auch, ihm Versta%ndnis fu%r Gedichte oder Malerei beibringen, kann zur Erkla%rung dessen geho%ren, was Versta%ndnis fu%r Musik sei. 71 1948 Unsre Kinder lernen schon in der Schule, Wasser bestehe aus den Gasen Wasserstoff und Sauerstoff, oder Zucker aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff. Wer es nicht versteht ist dumm. Die wichtigsten Fragen werden zugedeckt. Die Scho%nheit einer Sternfigur -- eines Sechseck-Sterns etwa -- wird beeintra%chtigt, wenn man sie symmetrisch bezu%glich einer bestimmten Achse sieht. Bach hat gesagt, er habe alles nur durch Flei# geleistet. Aber ein solcher Fle i# setzt eben Demut und eine ungeheure Leidensfa%higkeit, also Kraft, voraus. Und wer sich dann vollkommen ausdru%cken kann, spricht eben zu uns die Sprache eines gro#en Menschen. Ich glaube, da# die Erziehung der Menschen heute dahingeht, die Leidens- fa%higkeit zu verringern. Eine Schule gilt heute fu%r gut, 'if the children ha ve a good time' . Und das war fru%her nicht der Ma#stab. Und die Eltern mo%chten, da# die Kinder werden, wie sie selbst sind (only more so) und doch lassen sie sie durch eine Erziehung gehen, die von der ihrenganz verschieden ist. -- Auf die Leidensfa%higkeit gibt man nichts, denn Leiden soll es nicht geben, sie si nd eigentlich veraltet. "Die Tu%cke des Objekts." -- Ein unno%tiger Anthropomorphismus. Man ko%nnte von einer Tu%cke der Welt reden; sich leicht vorstellen, der Teufel habe die Welt geschaffen, oder einen Teil von ihr. Und es ist nicht no%tig, ein Eingrei fen des Da%mons von Fall zu Fall sich vorzustellen; es kann alles 'den Naturgesetzen entsprechend' vor sich gehen; es ist dann eben der ganze Plan von vornherein auf's Schlimme angelegt. Der Mensch aber befindet sich in dieser Welt, in der die Dinge zerbrechen, rutschen, alles mo%gliche Unheil anstiften. Und er ist natu%rlich eins von den Dingen. -- Die 'Tu%cke' des Obje kts ist ein dummer Anthropomorphismus. Denn die Wahrheit ist viel ernster als diese Fiktion. Ein stilistischer Behelf mag praktisch sein, und mir doch verboten. Das Schopenhauer'sche "als welcher" z. B. Es wu%rde den Ausdruck manchmal bequemer, deutlicher, machen, kann aber nicht von dem gebraucht werden, := der es als altva%terisch empfindet; und er darf sich nicht u%ber diese Empfi ndung hinwegsetzen. 72 1948 Religio%ser Glaube und Aberglaube sind ganz verschieden. Der eine entspringt aus Furcht und ist eine Art falscher Wissenschaft. Der andre ist ein Vertraun. Es wa%re beinahe seltsam, wenn es nicht Tiere mit dem Seelenleben von Pflanzen ga%be. D. h., mit dem mangelnden Seelenleben. Als ein Grundgesetz der Naturgeschichte ko%nnte man es, glaube ich, betrachten, da#, wo immer etwas in der Natur 'eine Funktion hat', 'einen Zweck erfu%llt', dieses selbe auch vorkommt, wo es keinen erfu%llt, ja 'unzweckdienlich' ist. Erhalten die Tra%ume manchmal den Schlaf, so kannst Du darauf rechnen, da# sie ihn manchmal sto%ren; erfu%llt die Traumhalluzination manchmal einen plausiblen Zweck (der eingebildeten Wunscherfu%llung), so rechne darauf, da# sie auch das Gegenteil tut. Eine 'dynamische Theorie der Tra%ume' gibt es nicht. Worin liegt die Wichtigkeit des genauen Ausmalens von Anomalien? Kann man es nicht, so zeigt das, da# man sich in den Begriffen nicht auskennt. Ich bin zu weich, zu schwach, und darum zu faul, um Bedeutendes zu leisten. Der Flei# der Gro#en ist, unter andrem, ein Zeichen ihrer Kraft, abgesehen auch von ihrem inneren Reichtum. Wenn Gott wirklich die zu errettenden Menschen wa%hlt, dann ist kein Grund, warum er sie nicht nach Nationen, Rassen, oder Temperamenten wa%hlen soll. Warum die Wahl nicht in den Naturgesetzen ihren Ausdruck haben soll. (Er konnte ja auch so wa%hlen, da# die Wahl einem Gesetz folgt.) Ich habe Auszu%ge aus den Schriften von St. John of the Cross gelesen, Leute seien zu Grunde gegangen, weil sie nicht das Glu%ck hatten, im richtigen Moment einen weisen geistlichen Fu%hrer zu finden. Und wie kann man dann sagen, Gott versuche den Menschen nicht u%ber seine Kra%fte? Ich bin hier zwar geneigt, zu sagen, da# schiefe Begriffe viel Unheil angerichtet haben, aber die Wahrheit ist, da# ich gar nicht wei#, was Heil und was Unheil anstiftet. 73 1948 Wir du%rfen nicht vergessen: auch unsere feineren, mehr philosophischen Bedenken haben eine instinktive Grundlage. Z. B. das 'Man kann nie wissen . . . . Das Zuga%nglichbleiben fu%r weitere Argumente. Leute, denen man das nicht beibringen ko%nnte, ka%men uns geistig minderwertig vor. Noch unfa%hig einen gewissen Begriff zu bilden. Wenn Nachttra%ume eine a%hnliche Funktion haben, wie Tagtra%ume, so dienen sie zum Teil dazu, den Menschen aufjede Mo%glichkeit (auch die schlimmste) vorbereiten. Wenn Einer mit voller Sicherheit an Gott glauben kann, warum dann nicht an der Andern Seele? Diese musikalische Phrase ist fu%r mich eine Geba%rde. Sie schleicht sich in mei n Leben ein. Ich mache sie mir zu eigen. Die unendlichen Variationen des Lebens sind unserm Leben wesentlich. Und also eben der Gepflogenheit des Lebens. Ausdruck besteht fu%r uns Unberechenbarkeit. Wu%#te ich genau, wie er sein Gesicht verziehen, sich bewegen wird, so wa%re kein Gesichtausdruck, keine Geba%rde vorhanden. -- Stimmt das aber? -- Ich kann mir doch ein Musikstu%ck, das ich (ganz) auswendig wei#, immer wieder anho%ren; und es ko%nnte auch von einer Spieluhr gespielt werden. Seine Geba%rden blieben fu%r mich immer Geba%rden, obgleich ich immer wei#, was kommen wird. Ja, ich kann sogar imme1 wieder u%berrascht sein. (In einem bestimmten Sinne.) Der ehrliche religio%se Denker ist wie ein Seilta%nzer. Er geht, dem Anscheine nach, beinahe nur auf der Luft. Sein Boden ist der schmalste, der sich denken la%#t. Und doch la%#t sich auf ihm wirklich gehen. Der feste Glaube. (An eine Verhei#ung z. B.) Ist er weniger sicher als die U%berzeugung von einer mathematischen Wahrheit? -- Aber werden dadurch die Sprachspiele a%hnlicher! 74 1948 Es ist fu%r unsre Betrachtung wichtig, da# es Menschen gibt von denen jemand fu%hlt, er werde nie wissen, was in ihnen vorgeht. Er werde sie nie verstehen. (Engla%nderinnen fu%r Europa%er.) Ich glaube, es ist eine wichtige und merkwu%rdige Tatsache, da# ein musikalisches Thema, wenn es in (sehr) verschiedenen Tempi gespielt wird, seinen Charakter a%ndert. U%bergang von der Quantita%t zur Qualita%t. Die Probleme des Lebens sind an der Oberfla%che unlo%sbar, und nur in der Tiefe zu lo%sen. In den Dimensionen der Oberfla%che sind sie unlo%sbar. In einer Konversation: Einer wirft einen Ball; der Andre wei# nicht: soll er ihn zuru%ckwerfen, oder einem Dritten zuwerfen, oder liegenlassen, oder aufheben und in die Tasche stecken, etc. Der gro#e Architekt in einer schlechten Periode (Van der Nu%ll) hat eine ganz andere Aufgabe als der gro#e Architekt in einer guten Periode. Man darf sich wieder nicht durch das allgemeine Begriffswort verfu%hren lassen. Nimm nicht die Vergleichbarkeit, sondern die Unvergleichbarkeit als selbstversta%ndlich hin. Nichts ist doch wichtiger, als die Bildung von fiktiven Begriffen, die uns die unseren erst verstehen lehren. "Denken ist schwer" (Ward). Was hei#t das eigentlich? Warum ist es schwer? -- Es ist beinahe a%hnlich, als sagte man "Schauen ist schwer". Denn angestrengtes Schauen ist schwer. Und man kann angestrengt schauen und doch nichts sehen, oder immer wieder etwas zu sehen glauben, und doch nicht deutlich sehen ko%nnen. Man kann mu%de werden vom Schauen, auch wenn man nichts sieht. Wenn Du einen Kna%uel nicht entwirren kannst, so ist das Gescheiteste, was Du tun kannst, das einzusehen; und das Ansta%ndigste, es zuzugestehen. [ Antisemitismus. ] Was man tun soll, das U%bel zu heilen, ist nicht klar. Was man nicht tun darf, ist von Fall zu Fall klar. 75 1948 Es ist merkwu%rdig, da# man die Zeichnungen von Busch oft ,metaphysisch, nennen kann. So gibt es also eine Zeichenweise, die metaphysisch ist? -- "Gesehen mit dem Ewigen als Hintergrund"1 ko%nnte man sagen. Aber doch bedeuten diese Striche das nur in einer ganzen Sprache. Und es ist e1ne Sprache ohne Grammatik, man ko%nnte ihre Regeln nicht angeben. Karl der Gro#e hat im Alter vergebens versucht, schreiben zu lernen: und so kann Einer auch vergebens trachten, eine Gedankenbewegung zu erlernen. Sie wird ihm nie gela%ufig. Eine Sprache, in der im Takt geredet wird, so da# man auch nach dem Metronom reden kann. Es ist nicht selbstversta%ndlich, da# Musik sich, wie die unsere, wenigstens beila%ufig, metronomieren la%#t. (Das Thema aus der 8. Symphonie genau nach dem Metronom zu spielen.) Schon in Menschen, die sa%mtlich die gleichen Gesichtszu%ge ha%tten, ko%nnten wir uns nicht finden. Ist ein falscher Gedanke nur einmal ku%hn und klar ausgedru%ckt, so ist damit schon viel gewonnen. Nur wenn man noch viel verru%ckter denkt, als die Philosophen, kann man ihre Probleme lo%sen. Denk, jemand sa%he ein Pendel an und da%chte dabei: So la%#t Gott es gehen. Hat denn Gott nicht die Freiheit, auch einmal in U%bereinstimmung mit einer Rechnung zu handeln? Ein weit talentierterer Schriftsteller als ich ha%tte noch immer geringes Talent . Es ist ein ko%rperliches Bedu%rfnis des Menschen, sich bei der Arbeit zu sagen 'Jetzt lassen wir's schon einmal", und da# man immer wieder gegen dieses 76 1948 Bedu%rfnis beim Philosophieren denken mu#, macht diese Arbeit so anstren- gend. Du mu#t die Fehler Deines eigenen Stiles hinnehmen. Beinahe wie die Unscho%nheiten des eigenen Gesichts. Steige immer von den kahlen Ho%hen der Gescheitheit in die gru%nenden Ta%ler der Dummheit. Ich habe eines von diesen Talenten, das immer wieder aus der Not eine Tugend machen mu#. Tradition ist nichts, was Einer lernen kann, ist nicht ein Faden, den Einer aufnehmen kann, wenn es ihm gefa%llt; so wenig, wie es mo%glich ist, sich die eigenen Ahnen auszusuchen. Wer eine Tradition nicht hat und sie haben mo%chte, der ist wie ein unglu%cklich Verliebter. Der glu%cklich Verliebte und der unglu%cklich Verliebte haben Jeder sein eigenes Pathos. Aber es ist schwerer gut unglu%cklich verliebt sein, als gut glu%cklich verlie bt. Moore hat mit seinem Paradox in ein philosophisches Wespennest gestochen; und wenn die Wespen nicht geho%rig aufgeflogen sind, so ist es nur, weil sie z u tra%g waren. Im Geistigen la%#t sich ein Unternehmen meistens nicht fortsetzen, soll auch gar nicht fortgesetzt werden. Diese Gedanken du%ngen den Boden fu%r eine neue Saat. So bist Du also ein schlechter Philosoph, wenn, was Du schreibst, schwer versta%ndlich ist? Wa%rest Du besser, so wu%rdest Du das Schwere leicht versta%ndlich machen. -- Aber wer sagt, da# das mo%glich ist?! [ Tolstoi.] Das gro%#te Glu%ck des Menschen ist die Liebe. Angenommen, Du sagst vom Schizophrenischen: er liebt nicht, er kann nicht lieben, er will nicht lieben -- wo ist der Unterschied?! "Er will nicht . . ." hei#t: es ist in seiner Macht. Und wer will das sagen?! Wovon sagt man denn "es ist in meiner Macht"? -- Man sagt es, wo man einen Unterschied machen will. Dies Gewicht kann ich heben, will's aber = nicht heben; jenes kann ich nicht heben. "Gott hat es befohlen, also mu# man's tun ko%nnen." Das hei#t gar nichts. Hier ist kein 'also' . Die beiden Ausdru%cke ko%nnten ho%chstens das gleiche bedeut en. "Er hat es befohlen" hei#t hier ungefa%hr: Er wird strafen, wer es nicht tut. Und daraus folgt nichts u%ber das Ko%nnen. Und das ist der Sinn der 'Gnadenwahl'. Das hei#t aber nicht, da# es richtig ist, zu sagen: "Er straft, obgleich man nicht anders kann." -- Wohl aber ko%nnte man sagen: Hier wird gestraft, wo der Mensch nicht strafen du%rfte. Und der Begriffder 'Strafe' u%berhaupt a%nde rt sich hier. Denn die alten Illustrationen lassen sich hier nicht mehr anwenden, oder mu%ssen nun ganz anders angewendet werden. Sieh Dir nur eine Allegorie an, wie "The Pilgrim's Progress", und wie hier alles -- im menschlichen Sinne -- nicht stimmt. -- Aber stimmt sie nicht doch? D. h.: la%# t sie sich nicht anwenden? Sie ist ja angewendet worden. (Auf den Bahnho%fen gibt es Zifferbla%tter mit zwei Zeigern; sie zeigen an, wann der na%chste Zug abfa%hrt. Sie schauen aus wie Uhren und sind keine; haben aber ihre Verwendung.) (Es ga%be hier ein besseres Gleichnis.) Dem Menschen, der bei dieser Allegorie unwillig wird, ko%nnte man sagen: Verwende sie anders oder ku%mmere Dich nicht um sie! (Aber manchen wird sie weit mehr verwirren, als sie ihm helfen kann.) Was der Leser auch kann, das u%berla# dem Leser. Ich schreibe beinahe immer Selbstgespra%che mit mir selbst. Sachen, die ich mi r unter vier Augen sage. Ehrgeiz ist der Tod des Denkens. 78 1948 Humor ist keine Stimmung, sondern eine Weltanschauung. Und darum, wenn es richtig ist, zu sagen, im Nazi-Deutschland sei der Humor vertilgt worden, so hei#t das nicht so etwas wie, man sei nicht guter Laune gewesen, sondern etwas viel Tieferes und Wichtigeres. Zwei Menschen, die zusammen, u%ber einen Witz etwa, lachen. Einer hat gewisse etwas ungewo%hnliche Worte gebraucht und nun brechen sie beide 1n eine Art von Meckern aus. Das ko%nnte Einem, der aus anderer Umgebung zu uns kommt, sehr sonderbar vorkommen. Wa%hrend wir es ganz vernu%nftig finden. (Ich beobachtete diese Szene neulich in einem Omnibus und konnte mich in Einen hineindenken, der das nicht gewohnt ist. Es kam mir dann ganz irrational vor und wie die Reaktionen eines uns fremden Tiers.) 1949 Der Begriff des 'Festes'. Fu%r uns mit Lustbarkeit verbunden; zu einer ande1r1 Zeit mo%glicherweise nur mit Furcht und Grauen. Was wir "Witz" und was wir "Humor" nennen, hat es gewi# in andern Zeiten nicht gegeben. Und diese beiden a%ndern sich besta%ndig. "Le style c'est l'homme", "Le style c'est l'homme me^me". Der erste Ausdruck hat eine billige epigrammatische Ku%rze. Der zweite, richtige, ero%ffnet eine ganz andere Perspektive. Er sagt, da# der Stil das Bild des Menschen sei. Es gibt Bemerkungen, die sa%en, und Bemerkungen, die ernten. Die Landschaft dieser Begriffsverha%ltnisse aus ihren unza%hligen Stu%cken, wi e sie die Sprache uns zeigt, zusammenstellen, ist zu schwer fu%r mich. Ich kann es nur sehr unvollkommen tun. Wenn ich mich fu%r eine Eventualita%t vorbereite, kannst Du ziemlich sicher sein, da# sie nicht eintreten wird. u. U. Es ist schwer etwas zu wissen, und zu handeln, als wu%#te man's nicht. 79 1949 Es gibt wirklich die Fa%lle, in denen Einem der Sinn dessen, was er sagen will , viel klarer vorschwebt, als er ihn in Worten auszudru%cken vermag. (Mir geschieht dies sehr oft.) Es ist dann, als sa%he man deutlich ein Traumbild vo r sich, ko%nnte es aber nicht so beschreiben, da# der Andre es auch sieht. Ja, d as Bild steht fu%r den Schreiber (mich) oft bleibend hinter den Worten, so da# si e esfu%r mich zu beschreiben scheinen. Ein mittelma%#iger Schriftsteller mu# sich hu%ten, einen rohen, inkorrekten Ausdruck zu schnell durch einen korrekten zu ersetzen. Dadurch to%tet er den ersten Einfall, der doch noch ein lebendes Pfla%nzchen war. Und nun ist er du% rr und gar nichts mehr wert. Man kann ihn nun auf den Mist werfen. Wa%hrerid das armselige Pfla%nzchen noch immer einen gewissen Nutzen hatte. Das Veralten von Schriftstellern, die schlie#lich etwas waren, ha%ngt damit zusammen, da# ihre Schriften von der ganzen Umgebung ihrer Zeit erga%nzt, stark zu den Menschen sprechen, da# sie aber ohne diese Erga%nzung sterben, gleichsam der Beleuchtung beraubt, die ihnen Farbe gab. Und damit, glaube ich, ha%ngt die Scho%nheit mathematischer Demon- strationen zusammen, wie sie selbst von Pascal empfunden wurde. In dieser Anschauung der Welt hatten diese Demonstrationen Sch~o%heit -- nicht das, was oberfla%chliche Menschen Scho%nheit nennen. Auch, ein Krystall ist nicht in jeder 'Umgebung' scho%n -- obwohl vielleicht in jeder reizvoll. -- Wie sich ganze Zeiten nicht aus den Zangen gewisser Begriffe befreien ko%nnen -- des Begriffes 'scho%n' und 'Scho%nheit' z. B. Mein eigenes Denken u%ber Kunst und Werte ist weit desillusionierter, als es das der Menschen vor 100 Jahren sein konnte. Und doch hei#t das nicht, da# es deswegen richtiger ist. Es hei#t nur, da# im Vordergrund meines Geistes Unterga%nge sind, die nicht im Vordergrundjener waren. Sorgen sind wie Krankheiten; man mu# sie hinnehmen: das Schlimmste, was man tun kann, ist, sich gegen sie auflehnen. Sie kommen auch in Anfa%llen, durch innere, oder a%u#ere Anla%sse ausgelo%st. Und man mu# sich dann sagen: "Wieder ein Anfall." Wissenschaftliche Fragen ko%nnen mich interessieren, aber nie wirklich fesseln . Das tun fu%r mich nur begriffliche und a%sthetische Fragen. Die Lo%sung wissenschaftlicher Probleme ist mir, im Grunde, gleichgu%ltig; jener andern Fragen aber nicht. 80 1949 Auch wenn man nicht in Kreisen denkt, so geht man doch, manchmal geradenwegs durch's Walddickicht der Fragen in's Freie hinaus, manchmal auf verschlungenen, oder Zickzackwegen, die uns nicht in's Freie fu%hren. Der Sabbath ist nicht einfach die Zeit der Ruhe, der Erholung. Wir sollten unsre Arbeit von au#en betrachten, nicht nur von innen. Der Gru# der Philosophen unter einander sollte sein: "La# Dir Zeit!" Fu%r den Menschen ist das Ewige, Wichtige, oft durch einen undurch- dringlichen Schleier verdeckt. Er wei#: da drunten ist etwas, aber er sieht es nicht. Der Schleier reflektiert das Tageslicht. Warum soll der Mensch nicht todunglu%cklich werden? Es ist eine seiner Mo%glichkeiten. Wie im 'Corinthian Bagatel' dieser Weg der Kugel einer de1 mo%glichen Wege. Und vielleicht nicht einmal einer der seltenen. In den Ta%lern der Dummheit wa%chst fu%r den Philosophen noch immer mehr = Gras, als auf den kahlen Ho%hen der Gescheitheit. Die Zeitlichkeit der Uhr und die Zeitlichkeit in der Musik. Sie sind durchaus nicht gleiche Begriffe. Streng im Takt gespielt, hei#t nicht genau nach dem Metronom gespielt. Es wa%re aber mo%glich, da# eine gewisse Art von Musik nach dem Metronom zu spielen ware. (Ist das Anfangsthema 1 der 8. Symphonie von dieser Art?) Ko%nnte man den Begriff der Ho%llenstrafen auch anders, als durch den Begriff der Strafe erkla%ren? Oder den Begriff der Gu%te Gottes auch anders, als duich den Begriff der Gu%te? Wenn Du mit Deinen Worten die rechte Wirkung erzielen willst, gewi# nicht. 8 1 1949 Denke, es wu%rde Einem gelehrt: Es gibt ein Wesen, welches Dich, wenn Du das und das tust, so und so lebst, nach Deinem Tod an einen Ort der ewigen Qual bringen wird; die meisten Menschen kommen dorthin, eine geringe Anzahl an einen Ort der ewigen Freude. -- Jenes Wesen hat ven vornherein die ausgewa%hlt, die an den guten Ort kommen sollen, und, da nur die an den Ort der Qual kommen, die eine bestimmte Art des Lebens gefu%hrt haben, die andern auch, von vornherein, zu dieser Art des Lcbens bestimmt. Wie so eine Lehre wohl wirken wu%rde? Es ist hier also von Strafe keine Rede, sondern eher von einer Art Naturgesetzlichkeit. Und, wem man es in diesem Lichte darstellt, der ko%nnte nur Verzweiflung oder Unglauben aus dieser Lehre ziehen. Diese Lehre ko%nnte keine ethische Erziehung sein. Und wen man ethisch erziehen und dennoch so lehren wollte, dem mu%#te man die Lehre, nach der ethischen Erziehung, als eine Art unbegreiflichen Geheimnisses darstellen. "Er hat sie, in seiner Gu%te, erwa%hlt und er wird Dich strafen" hat ja keinen Sinn. Die beiden Ha%lften geho%ren zu verschiedenen Betrachtungsarten. Die zweite Ha%lfte ist ethisch und die erste ist es nicht. Und mit der ersten zusammen ist die zweite absurd. Der Reim von 'Rast' mit 'Hast' ist ein Zufall. Aber ein glu%cklicher Zufall, u nd Du kannst diesen glu%cklichen Zufall entdecken. In Beethovens Musik findet sich zum ersten Mal, was man den Ausdruck der Ironie nennen kann. Z. B. im ersten Satz der Neunten. Und zwar ist es bei ihm eine fu%rchterliche Ironie, etwa die des Schicksals. -- Bei Wagner kommt die Ironie wieder, aber in's Bu%rgerliche gewendet. Man ko%nnte wohl sagen, da# Wagner und Brahms, jeder in andrer Art, Beethoven nachgeahmt haben; aber was bei ihm kosmisch war, wird bei ihnen irdisch. Es kommen bei ihm die gleichen Ausdru%cke vor, aber sie folgen andein Gesetzen. Das Schicksal spielt ja auch in Mozarts oder Haydns Musik keinerlei Rolle- Damit bescha%ftigt sich diese Musik nicht. Tovey, dieser Esel, sagt einmal dies, oder etwas A%hnhches, habe damit zu tun, da# Mozart Lektu%re einer gewissen Art gar nicht zuga%nglich gewesen sei. Als ob es ausgemacht wa%re, da# nur die Bu%cher die Musik der Meister bestimmt ha%tten. Freilich ha%ngen Musik und Bu%cher zusammen. Aber wenn Mozart in seiner Lektu%re nicht gro#e Tmgik fand, fand er sie darum nicht im Leben? Und sehen Komponisten immer nur durch die Brillen der Dichter? Einen dreifachen Kontrapunkt gibt es nur in einer ganz bestimmten musikalischen Umgebung. Der seelenvolle Ausdruck in der Musik. Er ist nicht nach Graden der Sta%rke und des Tempos zu beschreiben. Sowenig wie der seelenvolle Gesichtsaus- druck durch ra%umliche Ma#e. Ja er ist auch nicht durch ein Paradigma zu erkla%ren, denn das gleiche Stu%ck kann auf unza%hlige Arten mit echtem Ausdruck gespielt werden. Das Wesen Gottes verbu%rge seine Existenz -- d. h. eigentlich, da# es sich hie r um eine Existenz nicht handelt. Ko%nnte man denn nicht auch sagen, das Wesen der Farbe verbu%rge ihre Existenz? Im Gegensatz etwa zum wei#en Elephanten. Denn es hei#t ja nur: Ich kann nicht erkla%ren, was 'Farbe' ist, was das Wort "Farbe" bedeutet, au#e r an der Hand des Farbmusters. Es gibt also hier nicht ein Erkla%ren, 'wie es wa %re, wenn es Farben ga%be' . Und man ko%nnte nun sagen: Es la%#t sich beschreiben, wie es wa%re, wenn es Go%tter auf dem Olymp ga%be -- aber nicht: 'wie es wa%re, wenn es Gott ga%be'. Und damit wird der Begriff 'Gott' na%her bestimmt. Wie wird uns das Wort "Gott" beigebracht (d. h. sein Gebrauch)? Ich kann davon keine ausfu%hrliche grammatische Beschreibung geben. Aber ich kann sozusagen Beitra%ge zu der Beschreibung machen; ich kann daru%ber manches sagen und vielleicht mit der Zeit eine Art Beispielsammlung anlegen. Bedenke hier, da# man in einem Wo%rterbuch vielleicht gern solche Gebrauchsbeschreibungen ga%be, in Wirklichkeit aber nur einige wenige Beispiele und Erkla%rungen gibt. Ferner aber, da# mehr auch nicht no%tig ist. Was ko%nnten wir mit einer ungeheuer langen Beschreibung anfangen? -- Nun, wir ko%nnten nichts mit ihr anfangen, wenn es sich um den Gebrauch von Wo%rtern uns gela%ufiger Sprachen handelte. Aber wie, wenn wir so eine Beschreibung des Gebrauchs eines assyrischen Worts vorfa%nden? Und in welcher Sprache? Nun, in einer andern uns bekannten. -- In der Beschreibung wird oft das Wort "manchmal" vorkommen, oder "o%fters", oder "fu%i gewo%hnlich" , oder "fast immer", oder "fast nie". Es ist schwer, sich ein gutes Bild einer solchen Beschreibung zu machen. Und ich bin im Grunde doch ein Maler, und oft ein sehr schlechter Maler. 83 1949 Wie ist es denn, wenn Leute nicht den gleichen Sinn fu%r Humor haben? Sie reagieren nicht richtig auf einander. Es ist, als wa%re es unter gewissen Menschen Sitte einem Andern einen Ball zuzuwerfen, welcher ihn auffangen und zuru%ckwerfen soll; aber gewisse Leute wu%rfen ihn nicht zuru%ck, sondern steckten ihn in die Tasche. Oder wie ist es, wenn Einer den Geschmack des Andern gar nicht zu erraten versteht? Ein in uns festes Bild kann man freilich dem Aberglauben vergleichen, aber doch auch sagen, da# man immer auf irgend einen festen Grund kommen mu#, sei er nun ein Bild, oder nicht, und also sei ein Bild am Grunde alles Denkens zu respektieren und nicht als ein Aberglaube zu behandeln. Wenn das Christentum die Wahrheit ist, dann ist alle Philosophie daru%ber falsch. Kultur ist eine Ordensregel. Oder setzt doch eine Ordensregel voraus. Die Traumerza%hlung, ein Gemenge von Erinnerungen. Oft zu einem sinnvollen und ra%tselhaften Ganzen. Gleichsam zu einem Fragment, das uns stark beeindruckt (manchmal na%mlich), so da# wir nach einer Erkla%rung, nach Zusammenha%ngen suchen. Aber warum kamen jetzt diese Erinnerungen? Wer will's sagen? -- Es kann mit unserm gegenwa%rtigen Leben, also auch mit unsern Wu%nschen, Befu%rchtungen, etc., zusammenha%ngen. -- "Aber willst Du sagen, da# diese Erscheinung im bestimmten ursa%chlichen Zusammenhang stehen mu%sse?" -- Ich will sagen, da# es nicht notwendigerweise Sinn haben mu#, von einem Auffinden ihrer Ursache zu reden. Shakespeare und der Traum. Ein Traum ist ganz unrichtig, absurd, zusammengesetzt, und doch ganz richtig: er macht in dieser seltsamen Zusammensetzung einen Eindruck. Warum? Ich wei# es nicht. Und wenn Shakespeare gro# ist, wie von ihm ausgesagt wird, dann mu# man von ihm sagen ko%nnen: Es ist alles falsch, stimmt nicht -- und ist doch ganz richtig na ch einem eigenen Gesetz. Man ko%nnte das auch so sagen: Wenn Shakespeare gro# ist, kann er es nur in der Masse seiner Dramen sein, die sich ihre eigene Sprache und Welt schaffen. Er ist also ganz unrealistisch. (Wie der Traum.) 84 1950 1950 Es ist nichts Unerho%rtes darin, da# der Charakter des Menschen von der Au#enwelt beeinflu#t werden kann (Weininger). Denn das hei#t ja nur, da# erfahrungsgema%# die Menschen sich mit den Umsta%nden a%ndern. Fragt man: Wie ko%nnte die Umgebung den Menschen, das Ethische in ihm, zwingen? -- so ist die Antwort, da# er zwar sagen mag "Kein Mensch mu# mu%ssen", aber doch unter solchen Umsta%nden so und so handeln wird. 'Du Mu#T nicht, ich kann Dir einen (andern) Ausweg sagen, -- aber Du wirst ihn nicht ergreifen.' Ich glaube nicht, da# man Shakespeare mit einem andern Dichter zusammen- halten kann. War er vielleicht eher ein Sprachscho%pfer als ein Dichter? Ich konnte Shakespeare nur anstaunen; nie etwas mit ihm anfangen. Ich habe ein tiefes Mi#trauen gegen die allermeisten Bewunderer Shake- speares. Ich glaube, das Unglu%ck ist, da# er, in der westlichen Kultur zum mindesten, einzig dasteht, und man ihn daher, um ihn einzureihen, falsch einreihen mu#. Es ist nichit, als ob Shakespeare Typen von Menschen gut portraitierte und insofern u'ahr wa%re. Er ist nicht naturwahr. Aber er hat eine so gelenke Hand und einen so eigenartigen Strich, da# jede seiner Figuren bedeutend, sehenswert ausschaut. "Das gro#e Herz Beethovens" -- niemand ko%nnte sagen "das gro#e Herz Shakespeares". 'Die gelenke Hand, die neue Naturformen der Sprache geschaffen hat , schiene mir richtiger. Der Dichter kann eigentlich nicht von sich sagen "Ich singe wie der Vogel singt" -- aber Shakespeare ha%tte es vielleicht von sich sagen ko%nnen. Ein und dasselbe Thema hat in Moll einen andern Charakter als in Dur, aber von einem Charakter des Moll im allgemeinen zu sprechen, ist ganz falsch. (Bei Schubert klingt das Dur oft trauriger als das Moll.) Und so ist es, glaub e ich, mu%#ig und ohne Nutzen fu%r das Versta%ndnis der Malerei von den Charakteren der einzelnen Farben zu reden. Man denkt eigentlich dabei nur an spezielle Verwendungen. Da# Gru%n als Farbe einer Tischdecke die, Rot jene Wirkung hat, la%#t auf ihre Wirkung in einem Bild keinen Schlu# zu. 85 1950 Ich glaube nicht, da# Shakespeare u%ber das 'Dichterlos' ha%tte nachdenken ko%nnen. Er konnte sich auch nicht selbst als Prophet oder Lehrer der Menschheit betrachten. Die Menschen staunen ihn an, beinahe wie ein Naturschauspiel. Sie fu%hlen nicht, da# sie dadurch mit einem gro#en Menschen in Beru%hrung kommen. Sondern mit einem Pha%nomen. Ich glaube, um einen Dichter zu genie#en, dazu mu# man auch die Kultur, zu der er geho%rt, gern haben. Ist die einem gleichgu%ltig oder zuwider, s0 erkaltet die Bewunderung. Wenn der an Gott Glaubende um sich sieht und fragt "Woher ist alles, was ich sehe?", "Woher das alles?", verlangt er keine (kausale) Erkla%rung; und der Witz seiner Frage ist, da# sie der Ausdruck dieses Verlangens ist. Er dru%ckt ==:= also eine Einstellung zu allen Erkla%rungen aus. -- Aber wie zeigt sich di e in seinem Leben? Es ist die Einstellung, die eine bestimmte Sache ernst nimmt, sie aber dann an einem bestimmten Punkt doch nicht ernst nimmt, und erkla%rt, etwas anderes sei noch ernster. So kann Einer sagen, es ist sehr ernst, da# der und der gestorben ist, ehe er ein bestimmtes Werk vollenden konnte; und in anderem Sime kommt's darauf gar nicht an. Hier gebraucht man die Worte "in einem tiefern Sinne". Eigentlich mo%chte ich sagen, da# es auch hier nicht auf die Worte ankommt, die man ausspricht, oder auf das, was man dabei denkt, sondern auf den Unterschied, den sie an verschiedenen Stellen im Leben machen. Wie wei# ich, da# zwei Menschen das gleiche meinen, wenn jeder sagt, er glaube an Gott? Und ganz dasselbe kann man bezu%glich der 3 Personen sagen. Die Theologie, die auf den Gebrauch gewisser Worte und Phrasen dringt und andere verbannt, macht nichts klarer (Karl Barth). Sie fuchtelt sozusagen mit Worten, weil sie etwas sagen will und es nicht auszudru%cken wei#. Die Praxis gibt den Worten ihren Sinn. Ein Gottesbeweis sollte eigentlich etwas sein, wodurch man sich von der Existenz Gottes u%berzeugen kann. Aber ich denke mir, da# die Gla%ubigen, die solche Beweise lieferten, ihren 'Glauben' mit ihrem Verstand analysieren und begru%nden wollten, obgleich sie selbst durch solche Beweise nie zum Glauben gekommen wa%ren. Einen von der 'Existenz Gottes u%berzeugen' ko%nnte man vielleicht durch eine Art Erziehung, dadurch, da# man sein Leben so und so gestaltet. 86 1950 Das Leben kann zum Glauben an Gott erziehen. Und es sind auch Erfahrungen, die dies tun; aber nicht Visionen, oder sonstige Sinneser- fahrungen, die uns die 'Existenz dieses Wesens' zeigen, sondern z. B. Leiden verschiedener Art. Und sie zeigen uns Gott nicht wie ein Sinneseindruck einen Gegenstand, noch lassen sie ihn vermuten. Erfahrungen, Gedanken, -- das Leben kann uns diesen Begriff aufzwingen. Er ist dann etwa a%hnlich dem Begriff 'Gegenstand'. Ich kann Shakespeare darum nicht verstehen, weil ich in der ga%nzlichen Asymmetrie die Symmetrie finden will. Mir kommt vor, seine Stu%cke seien, gleichsam, enorme Skizzen, nicht Gema%lde; sie seien hingeworfen, von einem, der sich sozusagen alles erlauben kann. Und ich verstehe, wie man das bewundern und es die ho%chste Kunst nennen kann, aber ich mag es nicht. -- Wer daher vor diesen Stu%cken sprachlos steht, den kann ich verstehen; wer sie aber bewundert, so wie man Beethoven etwa bewundert, der scheint mir Shakespeare mi#zuverstehen. Eine Zeit mi#versteht die andere; und eine kleine Zeit mi#versteht alle andern in ihrer eigenen ha%#lichen Weise. Wie Gott den Menschen beurteilt, das kann man sich gar nicht vorstellen. Wenn er dabei wirklich die Sta%rke der Versuchung und die Schwa%che der Natur in Anschlag bringt, wen kann er dann verurteilen? Wenn aber nicht, so ergibt eben die Resultierende dieser beiden Kra%fte das Ziel, zu dem e1 pra%destiniert wurde. Er wurde also geschaffen, um entweder durch das Zusammenspiel der Kra%fte zu siegen, oder unterzugehen. Und das ist u%berhaupt kein religio%ser Gedanke, sondern eher eine wissenschaftliche Hypothese. Wenn Du also im Religio%sen bleiben willst, mu#t Du ka%mpfen. Sieh Dir die Menschen an: Der eine ist Gift fu%r den andern. Die Mutter fu%1 ds uch. Vielleicht haben sie schlechtes Gewissen, aber was hilft ihnen das? D as nur durch ihre dumme Zuneigung; und wie sollen sie es verstehen, und wie soll das Kind es verstehen? Sie sind sozusagen alle bo%se und alle unschuldig- Die Philosophie hat keinen Fortschritt gemacht? -- Wenn Einer kratzt, wo es ihn juckt, mu# ein Fortschritt zu sehen sein? Ist es sonst kein echtes Kratzen ' 87 1950 oder kein echtes Jucken? Und kann nicht diese Reaktion auf die Reizung lange Zeit so weitergehen, ehe ein Mittel gegen dasJucken gefunden wird? 1951 Gott kann mir sagen: "Ich richte Dich aus Deinem eigenen Munde. Du hast Dich vor Ekel vor Deinen eigenen Handlungen geschu%ttelt, wenn Du sie an Andern gesehen hast." Ist der Sinn des Glaubens an den Teufel der, da# nicht alles, was als eine Eingebung zu uns kommt, von gutem ist? Man kann sich nicht beurteilen, wenn man sich in den Kategorien nicht auskennt. (Freges Schreibart ist manchmal gro# ; Freud schreibt ausgezeichnet, und es ist ein Vergnu%gen, ihn zu lesen, aber er ist nie gro# in seinem Schreiben.)1